Bürger als Weichensteller

SPD will Volksentscheid zur Kita-Politik initiieren. Im ersten Schritt sind 10.000 Unterschriften nötig. Auch der DGB kritisiert Mangel an Plätzen

„Es muss eine Weichenstellung geben. Es kann nicht sein, dass deutsche Eltern ganz andere Probleme haben als französiche Eltern, nur weil der Staat dort familienfreundlicher ist“, sagt SPD-Landeschef Olaf Scholz. Gemeinsam mit dem Jugendpolitiker Thomas Böwer kündigte er gestern eine Volksinitiative zur Kita-Politik an. Kernstück jeder Reform müsse ein Ausbau sein, da in Hamburg 18.000 Plätze fehlen. Scholz: „Der Senat macht dilettantische Versuche mit dem Mangel umzugehen, indem er vorschreibt, wer alles keinen Platz kriegt.“ Verlierer seien Kinder in sozialen Brennpunkten und Berufstätige, deren Kinder jetzt noch keinen Platz haben.

Das umstrittene Gutscheinsystem soll zum 1. August 2003 starten, doch unzufriedene Eltern gibt es in den Kitas schon jetzt. Die Hamburger SPD will ihnen eine Handlungsperspektive aufzeigen. Scholz: „Eine Trendwende kann erreicht werden, wenn die Menschen selber ein Gesetz einbringen.“ Deshalb will die SPD von der seit 1996 möglichen Volksgesetzgebung Gebrauch machen und alternativ zu den Senatsplänen ihr Kinderbetreuunggesetz (KibeG) zur Abstimmung stellen. Danach bekommen alle Eltern einen „Rechtsanspruch“ auf Kinderbetreuung, sowohl Kinder von Berufstätigen als auch Kinder mit Bedarf an pädagogischer und sprachlicher Förderung.

Nur mit einer solchen Garantie, die jährlich 50 Millionen Euro kosten würde, werde ein Kita-Gutscheinsystem „den Bedürfnissen von Familien gerecht“, sagte Scholz. Er habe mit einem Rechtsanspruch bereits Mitte der 90er bei den Halbtagsplätzen „gute Erfahrungen“ gemacht: „Das führt zu massiven öffentlichen Investitionen.“ Die SPD will außerdem den bisherigen Rechtsanspruch auf einen Halbtagsplatz für 3- bis 6-Jährige auf fünf Stunden erhöhen.

Für die Volksabstimmung müssen zunächst 10.000 Unterschriften gesammelt werden, dann beraten Senat und Bürgerschaft sechs Monate. Übernehmen sie das Anliegen nicht, braucht es 60.275 Unterschriften für ein Volksbegehren, das wiederum Voraussetzung für die endgültige Abstimmung im Volksentscheid wäre. An diesem müssen sich mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen – die größte Hürde. Gelänge es aber, die ersten 10.000 Unterschriften bis Ende Januar zu sammeln, könnte die SPD für den Volksentscheid die Europawahl im Juni 2004 nutzen.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte gestern den Mangel an Kita-Plätzen. „Die geplanten Regelungen erschweren es, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen“, sagte der Hamburger DGB-Chef Erhard Pumm. KAIJA KUTTER