„Frischer Konservativismus“?

Die junge Entwerferszene zu Gast in Bremen: Das „United Network“. Ihr Gutachten zum Faulenquartier als „24-Stunden-Stadt“ hat allerdings noch keine Spuren hinterlassen

Der BDB, bislang keine Speerspitze der Architekturdiskussion, hat an Profil gewonnen

Demnächst wird sich in der Industrielandschaft von Stuttgart-Untertürkheim ein seltsames silbern schimmerndes Gebilde, das an drei miteinander verwachsene Zylinder erinnert, 47 Meter in die Höhe recken. Eine Großskulptur?

Im Vorbeifahren kann man erkennen, dass in dem Gebilde Autos stehen. Eine Hochgarage? Im Grunde von beidem etwas – aber in der Hauptsache: das neue Mercedes Benz Museum.

Es ist eben Trend. VW hat es vorgemacht, da können BMW und Daimler nicht nachstehen: den „Mythos Auto“ einem erlebnishungrigen Publikum auf einprägsame Weise zu präsentieren – mittels spektakulärer Architektur. Der Stuttgarter Entwurf stammt von der Amsterdamer Gestaltergruppe United Network Studio um den Architekten Ben van Berkel. Im Rahmen der vom Bund Deutscher Baumeister in Bremen (BDB) veranstalteten Reihe „Denkanstöße“ stellte Tobias Wallisser, 32-jähriger Creative Director der Gruppe, einige Projekte vor. Auch im Faulenquartier war UN Studio 1998 gutachterlich tätig. Die Studie befasst sich unter dem Motto „24-Stunden-Stadtteil“ vor allem mit den Möglichkeiten von Mehrfachnutzungen architektonischer Strukturen im Tagesverlauf. Sie hat aber in dem inzwischen hochaktuellen Umstrukturierungsprozess des Quartiers noch keine Spuren hinterlassen.

UN Studio gehört zu jener jungen Entwerferszene, die in den neunziger Jahren dem niederländischen Bauen weltweit Ruhm einbrachte. In keinem anderen Land konnten experimentierende Architekten annähernd so reüssieren. In lebhafter Erinnerung ist noch die „gestapelte Landschaft“ des Expo-Pavillons von der Gruppe MVRDV. Die auf Experiment und internationale Wirkung zielende Architekturpolitik unter der von Wim Kok geführten Regierungskoalition hat aber auch Kritik hervorgerufen: Den ob ihres rasanten Erfolges verächtlich als „Boygroups“ titulierten Teams wurde aus linker Sicht ein allzu unkritischer Umgang mit den scheinbar objektiven Verhältnissen als „frischer Konservativismus“ angekreidet. Inzwischen kommt in Holland die Kritik auch von anderer Seite – in Form eines postmodernen Historismus, der fröhliche Urständ feiert.

Wallissers Vortrag war sehr anregend, was im übrigen auch für fast alle Veranstaltungen der von Kerstin Tegeler organisierten „Denkanstöße“ gilt. War der BDB bislang nicht gerade als Speerspitze der hiesigen Architekturdiskussion bekannt, so hat er durch diese Reihe merklich an Profil gewonnen. Zu loben ist vor allem das Bemühen, Umweltgestaltung als einen komplexen Zusammenhang zu beschreiben, bei dem es auf die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Teilbereichen ankommt – wobei die Architektur selbst nicht immer nur als Königsdisziplin dasteht. Im Frühjahr geht es mit einer Staffel zum Thema: „Bauen im Bestand“ weiter.

Eberhard Syring