„Wir brauchen das Gesetz“

Heute entscheidet das Bundesverfassungsgericht über das Zuwanderungsgesetz. Ein Scheitern wäre wie ein zurückgenommenes Aufbruchsignal, sagt Barbara John, Integrationsbeauftragte des Senats

Interview SABINE AM ORDE

taz: Frau John, wenn das Zuwanderungsgesetz am heutigen Mittwoch in Karlsruhe scheitert, was heißt das für Berlin?

Barbara John: Die eigentlichen Aufbruchsignale dieses Gesetzes sind: Wir brauchen Zuwanderung, und wir wollen Zuwanderung. Das gilt sowohl für Zuwanderung aus humanitären Gründen als auch für Zuwanderung von hoch qualifizierten Arbeitnehmern, die wir selber nicht im Land haben. Damit hat die Bundesrepublik ein Signal gesetzt, das könnte jetzt ausgeschaltet werden. Das wäre eine der bedenklichen Konsequenzen, falls das Gesetz formal scheitert.

Wie werden die Migranten reagieren? Die Gerichtsentscheidung als erneute Zurückweisung wahrnehmen?

Ich hoffe, dass die meisten unterscheiden können, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nichts mit den Inhalten des Gesetzes zu tun hat, sondern mit dem Zustandekommen. Aber wer kann das schon so fein auseinander halten. Natürlich würden das einige als weiteren Stillstand in der deutschen Zuwanderungspolitik ansehen.

Was würde die Entscheidung für Integration und Einwanderung in Berlin bedeuten?

Dass die Integrationskurse, wie sie vom neuen Gesetz geplant sind, erst mal nicht aufgenommen werden können. Das hat vor allem Konsequenzen für Neuzuwanderer. Für die Menschen, die schon hier leben, wird wohl erst mal alles beim Alten bleiben.

Für diese bedeutet das neue Zuwanderungsgesetz eine Verschlechterung, weil die Mittel für Sprach- und Integrationskurse zugunsten der Neuzuwanderer umgeleitet werden.

Das stimmt. Bislang haben Bund und Land Mittel dafür zur Verfügung gestellt, die mit dem neuen Gesetz aber in die Kurse für die Neuzuwanderer fließen würden. Dafür gibt es noch keinen Ersatz, der ist aber dringend notwendig. Kommt das Gesetz nicht, werden die alten Kurse wohl weitergeführt und auch mit Bundes- und Landesmitteln finanziert. Ich könnte mir vorstellen, dass man dann eine Weile parallel fährt, also die alten Maßnahmen weiterlaufen lässt und gleichzeitig neue schrittweise aufbaut – unter der Voraussetzung, dass es zu einigenden Gesprächen zwischen Rot-Grün einerseits und CDU/CSU andererseits kommt.

Sie glauben, dass es dann ein neues Gesetz geben wird? Wie sollen sich Grüne und CDU/CSU noch weiter annähern?

Es muss ein Gesetz geben. Aber ob noch mal eines in dieser Ausdifferenziertheit zustande kommt, zum Beispiel was das Einreisealter und die Familienregelungen angeht, kann man jetzt noch nicht sagen. Aber die Aussage „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ und den Integrationsteil muss es geben.

Damit hat Ihre Partei, die CDU, immer noch Probleme.

Schwierig ist auch, dass das Zuwanderungsgesetz in einer Zeit entstanden ist, in der wir viel mehr wirtschaftlichen Optimismus hatten. Heute ist die Arbeitslosigkeit höher, die Aussichten auf schnelles Wirtschaftswachstum geringer. Und damit ist die Stimmung in Sachen Einwanderung viel ungünstiger als im August vor einem Jahr.

Frau John, Sie haben sich immer für das Zuwanderungsgesetz ausgesprochen, jetzt könnte es an Ihrer Partei scheitern. Zweifeln Sie nicht an der CDU?

Ich zweifele permanent an allen Parteien, weil es oft um Machtpolitik geht und nicht darum, Herausforderungen möglichst gut zu meistern. Natürlich ist es schwierig, dass Zuwanderung nach wie vor ein Stimmungsthema ist. Eines ist aber auch klar: Selbst wenn das Zuwanderungsgesetz kommt, sind die Herausforderungen, die sich durch die Integration auch von vielen Menschen mit geringen Bildungsvoraussetzungen stellen, nicht gelöst. Es fehlen Reformen in der Bildung und am Arbeitsmarkt.

Wenn das Gesetz das Bundesverfassungsgericht passiert, kann es dann noch zum 1. Januar in Kraft treten?

Teile werden in Kraft treten, aber vieles aus dem Integrationsteil kann nur über Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates umgesetzt werden.

Was genau?

Zum Beispiel die Rechtsverordnung zur Förderung der Integration. Aus Berlin haben sich 65 Anbieter für die Sprachkurse beworben, die jetzt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geprüft werden. Mir ist wichtig, dass mit Trägern zusammengearbeitet wird, die weitere integrative Angebote machen: sozialpädagogische Betreuung, Frauenkurse. Sprache wird nicht durch Kurse am besten gelernt, sondern durch gesellschaftliche Beteiligung. Das wird nicht vom Bundesamt finanziert. Diese Verbindung muss aber geschaffen werden.