strafplanet erde: die resterampensau von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Die typische Körperbewegung vieler Älterer unter uns („Fifty is the new forty“, sagte die 51-jährige Chrissie Hynde neulich) ist das kulturpessimistisch generierte Kopfschütteln. Nicht zu fassen, was heutzutage alles möglich, soll es bedeuten, und vor allem, was nicht mehr möglich ist: „Bös’ wird’s enden.“ Selbst wenn das Kopfschütteln im Einzelfall eine durchaus legitime Reaktion ist, geht es als institutionalisiertes Feedback den Jüngeren unter uns irgendwann gewaltig auf den Zeiger. Die zwangsjugendliche gute Laune der generationenübergreifenden Wellness-Propagandisten ist andererseits und sowieso nicht zu ertragen. Schauen Sie mal beim Marktschreier-Verwertungssender Home Shopping Europe rein, wenn Uschi Glas die Anti-Cellulite-Bürste ihrer Pflegeserie „Hautnah“ verhökert. Oder lieber nicht. Eingeengt von diesen beiden Verhaltensmustern ohne Wert, wendet sich der eine oder die andere ab von der Welt aus heißer Luft, setzt sich daheim an den warmen Ofen, fühlt sich bestätigt, wenn er in der Rede Thomas Manns zum 80. Geburtstag Freuds liest, das Wort Bescheidenheit leite sich von Bescheidwissen ab, obwohl sein Vorgängermodell des Dichterfürsten, der Geheimrat Goethe, lange vorher dekretierte, bescheiden seien nur die Lumpe. Alternativ aber könnte eine brauchbare Arbeitshypothese sein: „Souveränität durch Ignoranz“ (F. Hoppe).

Die lässt sich nicht ohne Unterbrechung durchhalten, klar. Erst recht nicht, wenn der Blick auf die Angebotspalette an Pflanzen fällt, die der Lebensmittel-Discounter vor seiner Eingangstür deponiert hat, genauer auf das Schild, auf dem „Verpiss dich!“ steht. Es ist nicht persönlich gemeint, wie sich gleich herausstellt, das angepriesene struppige Grünzeug heißt so. Die Recherche ergibt, dass der Harfenstrauch „Verpiss Dich“ aus der Familie Lamiaceae eine Hybride von Plectranthus caninus ist, gezüchtet von Dieter Stegmeier aus Essingen, dessen Sammlung an Duftpelargonien als „weltweit umfangreichste“ gilt. Aus „Sortenschutzgründen“ hält er die Eltern der „Verpiss Dich“-Pflanze geheim, aber vermutlich ist sie eine Kreuzung aus der „wenig attraktiven“ Plectranthus caninus und einer weiteren, nach Menthol duftenden Plectranthus- (oder Coleus-)Art aus Brasilien. „Verpiss Dich“ wächst „aufrecht, kompakt und ausladend“, ihr Duft aus ätherischen Ölen hält Hunde und Katzen fern – nicht Schnecken!

So. Und angesichts solcher Namensgebungen unserer floristischen Kulturschaffenden soll einem nicht der Blick zurückgestattet sein in ferne Zeiten, als Pflanzen noch „Vergissmeinnicht“ und Männertreu“ genannt wurden? Gewiss, es gab auch früher schon Auswüchse wie „Fette Henne“, musste ich mir von einer Expertin daraufhin anhören, aber trotzdem: „Verpiss Dich“! Wie sollen unseren Jugendlichen da noch Sitte und Anstand überzeugend vermittelt werden? Mich darf man da nicht fragen, denn wie ich neulich von Robert Mitchum gelernt habe: „Denken ist bei mir Glückssache“. Der Titel des Films, den man nicht nur einmal gesehen haben sollte, passt sogar: „Out Of The Past“.