Manifest für den Irak der Zukunft

Oppositionelle einigen sich in London auf die Grundsätze einer künftigen Verfassung. Doch damit sind längst nicht alle Streitpunkte vom Tisch. In dem neu gebildeten Koordinationskomitee dominieren die von den USA unterstützten Gruppen

aus London INGA ROGG
und ULRIKE WINKELMANN

Die irakische Opposition hat das schier Unmögliche geschafft und ein Zeichen ihrer Einheit gesetzt. Mit der Bekanntgabe eines gemeinsamen politischen Manifests und der Wahl eines Koordinationskomitees ging gestern eine viertägige Konferenz in London zu Ende, an der 310 Parteichefs, Abtrünnige des Regimes und der Armee, Stammeschefs, Mullahs, Businessleute, Intellektuelle und Menschenrechtler von mehr als 50 Organisationen teilgenommen haben. Damit unterstreichen die Oppositionellen ihren Anspruch, die einzige legitime Vertretung der irakischen Bevölkerung zu sein.

Auf der abschließenden Pressekonferenz beschworen die Sprecher der verschiedenen Organisationen gestern einen „Post-Saddam-Irak“, ohne die USA dabei auch nur zu erwähnen. Stoisch wiederholten sie, dass es Sache und Verantwortung des irakischen Volkes sei, Saddam Hussein zu stürzen und einen neuen Staat zuschaffen – „mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft“. Ungewollt betonten sie dabei die Rolle der Fraktionen, die über eigene Truppen verfügen – vor allem der beiden kurdischen Parteien PUK und KDP sowie des „Hohen Rats für die islamische Revolution in Irak“ (SCIRI), deren Führung in Teheran sitzt. Entsprechend massiv wirkten die Auftritte von SCIRI-Sprecher Abdelasis Hakim und Kurdenführer Jalal Talabani auf dem Podium. Dies widersprach wiederum dem Mantra sämtlicher Teilnehmer, dass alle, aber auch wirklich alle Gruppen und Fraktionen nach rein demokratischen Prinzipien in dem Koordinationskomitee vertreten sein sollen.

Dieses Komitee, das erst 40, dann 50, schließlich 65 Vertreter der über 300 Konferenzteilnehmer umfasste, soll ausdrücklich keine Exilregierung sein, aber die Bildung einer Übergangsregierung koordinieren. Es will sich am 15. Januar im Nordirak auf kurdischem und damit vor Saddam Hussein geschütztem Territorium treffen. Die Bildung des Komitees sowie der Umstand, dass sich die Konferenz auf ein Manifest einigen konnte, in dem die Grundzüge eines demokratischen und föderativen Post-Saddam-Staates mit dem Islam als Staatsreligion skizziert wurden, werteten gestern auch nichtirakische Beobachter der Konferenz als Erfolg. Das Manifest gilt als Nukleus einer Verfassung, über die das irakische Volk nach dem Sturz Saddam Husseins abstimmen soll.

Wie schwierig dieser Prozess werden wird, zeigte während des Treffens die ablehnende Haltung der „Irakischen Turkmenischen Front“ gegenüber dem von den Kurden vorgelegten Föderalismuskonzept, das ein arabisches und ein kurdisches Bundesland vorsieht. In Vorabsprachen gelang es den Kurden, den SCIRI für ihren Vorschlag zu gewinnen. Die Front, die in Kurdistan als verlängerter Arm der Türkei gilt, verlangte während der Verhandlungen die Regierungsgewalt über Kirkuk mit seinen wichtigen Ölfeldern, sollte sich der Vorschlag durchsetzen. Notfalls werde man dazu auch die Hilfe der Türkei in Anspruch nehmen, sagte der Front-Vertreter Jemal Shan im Gespräch mit der taz.

Problematisch ist auch die Frage des Islam als Staatsreligion, was der SCIRI gefordert hatte. Die durch die Assyrische Demokratische Partei vertretene christliche Minderheit sowie das Gros der Oppositionsgruppen lehnt das strikt ab und fordert eine säkulare Verfassung.

Einen Hinweis darauf, wie tief die politische Kluft ist, gab bereits einen Tag vor dem Konferenzbeginn am Freitag eine Autorengruppe um den renommierten Autor Kanan Makiya, als sie ihr Strategiepapier über den „Übergang zur Demokratie“ im Irak vorstellte. Das vom US-Außenministerium gesponserte Werk enthält viele kluge Vorschläge zur Umgestaltung der autoritären irakischen Gesellschaft in eine moderne Demokratie. Von den meisten Anwesenden wurde es indes als pures Gedankenspiel zurückgewiesen.

Verstimmt reagierten einige altgedienten Offiziere auf die Zusage des vom Präsident George W. Bush zum Sonderbotschafter für die „freien Iraker“ ernannten Zalmay Khalilzad, dass die US-Regierung den Despoten vom Tigris nicht durch einen anderen Diktator austauschen wollen. Während die USA dadurch einen Vertrauensbonus bei den Kurden gewannen, verstanden es die anwesenden Exgeneräle als Absage an einen Militärputsch. „Wir sind die größte Gruppe, und sie haben uns einfach die Tür vor der Nase zugeschlagen“, schimpfte der sonst so smarte Exgeneral Fawzi al-Shamarai von der „Bewegung der irakischen Offiziere“. Hier liegt der wunde Punkt vieler Gruppen. Wie viele Anhänger sie im Irak tatsächlich mobilisieren können, weiß niemand.

Mit 22 Vertretern von SCIRI und jeweils sechs für die beiden kurdischen Parteien KDP und PUK haben Schiiten und Kurden auch die Mehrheit im Koordinationskomitee. Jeweils fünf Sitze gehen an den Irakischen Nationalkongress (INC), die „Nationale Eintracht“ (Wifaq) und die „Bewegung für eine konstitutionelle Monarchie“ von Sharif Ali Bin al-Hussein. Zwei Sitze sind den sunnitischen Muslimen und zehn Unabhängigen vorbehalten. Mit diesen 61 von 65 Sitzen ist das Koordinationskomitee damit fest in der Hand der sechs von den USA finanziell wie militärisch unterstützen Gruppen. Obwohl während der Konferenz offiziell fast alle Sprecher auf Distanz zu einem drohenden Angriff der USA gegen den Irak gingen, wird dieser hinter vorgehaltener Hand begrüßt. Selbst Iran mache dabei keine Ausnahme, sagen Teilnehmer der Sitzungen.

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