Südkorea: Ende des Sonnenscheins

Präsident Kim wird im Ausland verehrt und im eigenen Land hart kritisiert. Morgen wird sein Nachfolger gewählt

SEOUL taz ■ Der Name Kim Dae Jung ist weltweit vor allem mit zwei „großen Taten“ verbunden: der „Sonnenscheinpolitik“, die Südkorea und dem kommunistischen Norden eine zaghafte Annäherung ermöglichte und für die Kim vor zwei Jahren den Friedensnobelpreis erhielt. Und den Wirtschaftsreformen, die Südkorea wieder auf Erfolgskurs brachte. International genießt der Präsident, dessen Nachfolger morgen gewählt wird, den besten Ruf.

Bei seinen Landsleuten kommt der 77-jährige einstige Dissident, dem Nelson Mandela zum Amtsantritt vor fünf Jahren seine Armbanduhr schenkte, schon lange nicht mehr so gut weg. Die jüngsten antiamerikanischen Massendemonstrationen in der Hauptstadt Seoul sind nicht nur Proteste gegen die ungeliebten 37.000 GIs. Der Freispruch zweier US-Soldaten, die zwei südkoreanische Mädchen totgefahren haben sollen, sei nur Anlass, nicht aber die Ursache der anhaltenden Demos, meinen politische Beobachter. Die eigentliche Unzufriedenheit gelte der Regierung Kim Dae Jung.

Den Südkoreanern gilt Kim als Vertreter einer alten Politikergarde, die ohne Korruption und unsaubere Geschäfte keine Politik machen kann. Korruption konnten die Gerichte bislang nur seinen Söhnen nachweisen. Einer von ihnen wird mindestens zwei Jahre hinter Gittern verbringen, weil er sich von Geschäftsleuten kaufen ließ. Auch ein Zweiter wurde wegen Bestechlichkeit verurteilt.

Wenn morgen Lee Hoi-Chang, der Kandidat der oppositionellen Großen Nationalpartei (GNP), die Präsidentschaftswahl gewinnt, droht auch Kim selbst eine Untersuchung. Die GNP hatte schon im September gefordert, eine Überweisung von 420 Millionen Euro an Nordkorea zu untersuchen. Das Geld war kurz vor dem Gipfeltreffen zwischen Kim Dae Jung und Kim Jong Il im Juni 2000 über Kontakte von Hyundai und der Korea Exchange Bank an den Norden überwiesen worden und soll direkt an Kim Jong Il gegangen sein. Das Gipfeltreffen hatte als Höhepunkt der „Sonnenscheinpolitik“ gegolten. Inzwischen beginnen die Früchte dieser anfangs sehr erfolgreichen Strategie zu verderben. Nordkorea hielt sich bislang nur an Abmachungen, die vorher mit viel Geld erkauft worden waren.

Falls Pjöngjang in den nächsten Wochen seine Drohung über die Aufnahme des stillgelegten Atomprogramms tatsächlich wahr machen sollte, wird der nächste Präsident Südkoreas die Entspannungspolitik von Kim kaum fortführen können. Bei einer neu zu formulierenden Nordkorea-Doktrin wird Washington wohl stärkere Mitsprache fordern als vor fünf Jahren unter Präsident Clinton.

Wer Kim wegen seiner Misserfolge ein Scheitern auf der ganzen Linie attestiert, vergisst allerdings seine Verdienste um die Wirtschaft des Tigerstaates. Als Kim 1997 ins Amt gewählt wurde, steckte die drittgrößte asiatische Volkswirtschaft gerade mitten in der Asienkrise und musste den IWF um ein 58-Milliarden-Dollar-Hilfspaket anbetteln. Dank Strukturreformen, wie der Aufsplitterung der größten Familienkonglomerate (Chaebols), präsentiert sich Südkorea heute mit einem jährlichen Wachstum von 6,4 Prozent als die gesündeste Volkswirtschaft in Ostasien. Obwohl noch weiterer Reformbedarf für die Chaebols und ihre Stellung in der südkoreanischen Wirtschaft besteht, sind sich Volkswirte einig, dass unter Kim das Machbare erreicht wurde. Einzig unrühmliche Ausnahme ist die Stützung des Halbleiterherstellers Hynix mittels verdeckten Staatssubventionen.

Wenn Kim von der drohenden Anklage verschont bleibt, dann wird er als der Präsident Südkoreas in Erinnerung bleiben, der eine Alternative im Umgang mit dem unberechenbaren Norden aufgezeigt hat und Reformen begann, die Südkoreas Wirtschaft für das 21. Jahrhundert gut vorbereitet haben. ANDRÉ KUNZ