Billige Pillen mit der Verfassung vereinbar

Karlsruher Richter weisen Klage gegen Höchstpreise für Arzneimittel ab. Niederlage für die Pharmabranche

KARLSRUHE taz ■ Krankenkassen dürfen Höchstpreise für Arzneimittel festlegen. Dies entschied gestern das Bundesverfassungsgericht und erklärte damit die 1989 eingeführte Festbetragsregelung für grundgesetzkonform. Pharmafirmen wie die Bayer AG, Optiker und Hörgerätehersteller hatten die Regelung als „undemokratisch“ angegriffen.

Mit dem System der Festbeträge legen die Kassen den Preis fest, den sie für ein Medikament mit bestimmten Eigenschaften maximal erstatten. Verschreibt der Arzt ein teureres Arzneimittel, muss der Patient die Mehrkosten selbst bezahlen. Dies kommt aber nur noch in etwa zehn Prozent der Fälle vor, weil die Pharmafirmen in der Regel ihre Preise auf das Niveau des Festbetrags gesenkt haben. Dadurch werden nach Kassenangaben allein im Arzneimittelsektor zwei Milliarden Mark pro Jahr gespart. Erfasst werden von diesem System alle nicht patentgebundenen Arzneimittel, das sind etwa 60 Prozent der Präparate. Außerdem gilt es für Hilfsmittel wie Hörgeräte, Brillen und Inkontinenzhilfen.

Die Kläger sehen in den Festbeträgen ein „Preisdiktat“ der Krankenkassen, die zu solchen Grundrechtseingriffen gar nicht legitimiert seien. Allenfalls könnten solche Höchstbeträge durch die Bundesregierung festgesetzt werden. Dieser Ansicht schloss sich auch das Bundessozialgericht an, das die Regelung in Karlsruhe zur Prüfung vorlegte.

Mit sehr deutlichen Worten hat das Verfassungsgericht dieser Argumentation nun eine Abfuhr erteilt. Es wertete die Festbeträge vor allem als Maßnahme zur Herstellung von Transparenz auf dem unübersichtlichen Pharmamarkt, wo mit unterschiedlichen Dosierungen, Kapsel- und Packungsgrößen Kosten verschleiert werden. Und eine größere Markttransparenz, so Karlsruhe, sei nun wirklich kein Eingriff in die Berufsfreiheit der betroffenen Hersteller. Das Grundgesetz garantiere schließlich keinen bestimmten Gewinn oder Marktanteil.

Auch gegen die Festsetzung der Höchstpreise durch die Spitzenverbände der Krankenkassen hatte das Gericht keine Einwände. Die Vorgaben im Sozialgesetzbuch seien ausreichend konkret. So müssten die Kassen sicherstellen, dass Patienten und Ärzten für alle Krankheiten mehrere Medikamente zur Auswahl stehen, die bis auf die Rezeptgebühr voll von der Kasse bezahlt werden. Sollten Patienten den Eindruck haben, dass sie zum Festbetrag überhaupt kein passendes Arznei- oder Hilfsmittel bekommen, empfahl Karlsruhe, sollten sie im Einzelfall beim Sozialgericht klagen.

Wegen der vielen Prozesse hat die Bundesregierung die Festbeträge für 2003 sicherheitshalber selbst verkündet – als Rechtsverordnung. Nach dem gestrigen Urteil kann Ulla Schmidt das Geschäft in Zukunft aber wieder ganz den Krankenkassen überlassen.

Es sei denn, der Europäische Gerichtshof funkt dazwischen. Denn dort wird ab Januar über die Frage verhandelt, ob die Preisfestsetzung durch die Kassen nicht ein unzulässiges Kartell darstellt. Während die Krankenkassen in Deutschland als behördenähnliche Einrichtungen gesehen werden, gelten sie aus europäischer Sicht vor allem als Unternehmen am Gesundheitsmarkt. (AZ: 1 BvL 28/95 u. a.)

CHRISTIAN RATH