Gabriel rechnet seine Niederlage schön

Dem Ministerpräsidenten bringt die Zinssteuer höchstens ein Viertel dessen, was er von der Vermögensteuer erhoffte

HANNOVER taz ■ An Selbstbewusstsein mangelte es dem jüngsten Ministerpräsidenten der Republik nicht, als er am Montagabend in der Oldenburger Weser-Ems-Halle der SPD-Basis die Einigung im parteiinternen Steuerstreit schmackhaft machte. „Gerhard Schröder und ich haben keinen Streit um die Sache geführt. Da waren wir uns immer einig. Wir haben gestritten um das Instrument“, rief Sigmar Gabriel vor den 1.200 SPD-Anhängern aus, unter die sich auch Pro-Vermögensteuer-Demonstranten von Attac gemischt hatten. Jetzt aber gebe es einen Grund mehr, gute Laune zu haben: „Gerhard Schröder und ich sind uns wieder mal einig.“

Der Kanzler spendete der Rede des jüngsten und rundesten deutschen Regierungschefs anschließend lange und laut Beifall. Er störte sich keineswegs daran, dass Gabriel von gleich zu gleich mit ihm verhandeln wollte, sondern tauchte den Ministerpräsidenten geradezu in Lob: Gabriel habe in drei Jahren bewiesen, dass er regieren könne. „Ich weiß, dass er der Beste ist.“ Zwar sei es für einen Kanzler und Parteivorsitzenden manchmal nicht ganz einfach mit den Ministerpräsidenten. Doch in Niedersachsen solle besser jemand regieren, „der eine klare Sprache spricht und tut, was er sagt“.

Auch Gabriel pries die Zinsabgeltungsteuer, durch die der Kanzler nun alle Vermögensteuerpläne ersetzt hat. Auch mit der Zinssteuer gehe man „ran an die, die bislang keine Steuern gezahlt haben“. Doch die geschätzten Einnahmezahlen demonstrierten das ganze Ausmaß seiner Niederlage. Von der Vermögensteuer hatte sich Gabriel noch 700 Millionen Euro pro Jahr erhofft, die er in Bildung und Schulbau investieren wollte. Aus der Zinssteuer sind nach seinen Angaben nur noch dauerhafte Mehreinnahmen von 100 Millionen jährlich zu erwarten. Hinzu kommt eine einmalige Einnahme von 1 Milliarde von reumütigen Steuerflüchtlingen – aber nur, wenn binnen eines Jahres tatsächlich 100 Milliarden Euro Schwarzgeld nach Deutschland zurückfließen. Diese will er in einer Stiftung Bildung und Wissenschaft anlegen, die rund 50 Millionen Euro pro Jahr abwürfe.

Besonders bitter für Gabriel ist, dass der Kanzler in der Sache den Ländern kein Stück entgegengekommen ist. Da die Zinssteuer eine Form der Einkommensteuer ist, stehen den Ländern ohnehin 42,5 Prozent des Aufkommens zu. Mehr wollen Schröder und Finanzminister Hans Eichel trotz Pisa und Schulnotstand auch nicht locker machen. Selbst wenn man der optimistischen Einnahmeprognose für die Zinssteuer folgt, bringt sie dem Land Niedersachsen allenfalls ein Viertel der erhofften Einnahmen aus der Vermögensteuer.

Mit der Parole „1 Prozent Vermögensteuer für 100 Prozent Bildung“ wollte Gabriel seinen Landtagswahlkampf zunächst wesentlich bestreiten. Die Zinssteuer soll jetzt nur noch „helfen, endlich dafür zu sorgen, dass wir das Versprechen 100 Prozent Unterrichtsversorgung auch einhalten können“. Listen, mit der die Parteibasis im Straßenwahlkampf Unterschriften für die Vermögensteuer sammeln wollte, sind jetzt genauso Abfall wie 800 Großflächenplakate. Für Druck der Listen und Plakate hat der SPD-Landesverband 20.000 Euro ausgegeben. JÜRGEN VOGES