Ich kann so nicht arbeiten

Ein Traum vom Mädchenfahren. Und vom Knabenchorfahren. Und außerdem auch vom Gar-nicht-mehr-Fahren. Überlegungen eines Taxifahrers in der Mittellebenskrise

Ich stehe schon wieder seit anderthalb Stunden an der Taxi-Halte – nix los. Hunger. Heute ist aber wirklich meine allerletzte Schicht, nehme ich mir vor, zum 100. Mal – ganz egal, ich gehe betteln, klauen, Blut spenden. Und braucht man eigentlich unbedingt zwei Nieren? Eine ist doch bloß Ersatz. Die andere reicht locker alleine – ich muss nur genug trinken, und das tue ich. Huha – da kommen böse Männer über die Straße. Ich will die nicht fahren. Lieber steh ich noch anderthalb Stunden länger hier. Ein Glück – sie gehen vorbei. Ich mag solche Fahrgäste nicht – besoffen, stinkend und vor zielloser Geilheit sabbernd.

Im Grunde bin ich für diesen Beruf überhaupt nicht geeignet: Ich reagiere total komisch, wenn ich beschimpft, beleidigt oder angeschrien werde. Bedroht oder geschlagen zu werden macht mir erst recht keinen Spaß. Eigentlich bin ich ein richtiger Mädchenfahrer. Mit Mädchen meine ich nicht die dummen und arroganten kleinen Ziegen aus dem 90 Grad, die man am liebsten zum Nachreifen in den Mutterleib zurückschieben möchte.

Nein, ich wäre gerne ein richtiger Mädchenfahrer: Ich würde jeden Nachmittag Hanni und Nanni zur Bastelstunde fahren. Sie würden mir unterwegs etwas vorsingen, aber nicht zu laut, damit sie mich nicht erschrecken. Wenn sie einsteigen, würde ich fragen „Na, Kleine – willst du ein Bonbon?“, und Nanni würde weinen, weil ich zuerst Hanni gefragt hätte, und deshalb würde ich Nanni zwei Bonbons geben, und dann würde Hanni wieder weinen, bis ich ihr auch ein zweites Bonbon geben würde. Dann würde Nanni wieder weinen. Bonbon. Hanni. Bonbon. Nanni. Bonbon. Schließlich hätte ich ihnen die ganze Tüte gegeben und lachend, scherzend und singend würden wir uns endlich auf den Weg machen.

So geht das jeden Tag. Mein Traum vom Mädchenfahrer: keine finsteren, gewalttätigen Männer mehr und keine gemeinen Ziegen. Außer Hanni und Nanni würde ich vielleicht noch Trotzkopf fahren – das wäre das Äußerste. „Wenn du dich prügeln willst, Trotzkopf, kannst du das draußen machen“, würde ich von vorneherein die Fronten klären. Am allerliebsten jedoch würde ich den ganzen Tag nur Klosterschülerinnen transportieren. Bis zu meinem Lebensende Klosterschülerinnen, die nach Nivea-Seife und Rohkost riechen. Wenn es das gäbe, würde ich einen Shuttle-Service bedienen, den „Nesthäkchen-Express“, der von morgens bis abends zwischen den Nonnenschulen hin und her pendelt. Abends natürlich nur so lange, bis es dunkel wird – das wäre sicher auch im Sinne der Mädchen. Und von Schwester von S-tücken, die die ganze Verantwortung trägt.

Ein Kollege tritt an mein Fenster und fragt mich, ob ich das gesehen hab: Hinter mir habe ein Fahrer fünf Personen geladen. Deshalb wolle er jetzt „eine Meldung schreiben“, blitzt verräterisch der bärchenfunkübliche Stasi-Jargon hervor – dafür brauche er einen Zeugen. Ich hätte gerade über wichtige Dinge nachgedacht und nichts gesehen, bedaure ich.

Außerdem würde ich, überlege ich, als ich endlich in Ruhe weiterdenken darf, auch ganze Knabenchöre mitnehmen. Die passen alle bei mir rein, weil sie so schmächtig sind. Sie kriegen nämlich nur dünne Mehlsuppe zu essen, damit sie das branchengewohnte Mitleid erregende Aussehen haben, der Gesang ausreichend klagend klingt und sie in ihrer körperlichen Entwicklung gebremst werden. „Singt mir mal was Feines“, klatsche ich in die Hände, „aber etwas Heiteres, Leichtes, Beschwingtes – und nicht zu laut“, füge ich noch hinzu. Das Resultat ist dann fast noch besser als bei Hanni und Nanni, und vergnügt wippt das wollbestrumpfhoste Knie von Frau von S-tücken, der Chorleiterin, im Takt. ULI HANNEMANN