Normalität ins Absurde getrieben

Worte, Menschen, Erscheinungen und Architekturen: Das von Corinna Schnitt zusammengestellte Kurzfilmprogramm „Prima Leben“ rückt mit unterschiedlichsten Formaten Lebenslügen und Alltagsneurosen auf den Leib

Wer das Wort „prima“ in den Mund nimmt, wird insgeheim schnell der Lüge bezichtigt. Mindestens aber vermutet man, der Ausdruck diene der Kaschierung von Zweifeln oder unbegriffenen Emotionen. Bilder von einem „Prima Leben“ verspricht das Kurzfilmprogramm, das die Künstlerin Corinna Schnitt für das Lichtmeß zusammengestellt hat. Und wie das Wort deuten die elf versammelten Filme unterschwellig auf eine Leerstelle.

Stanislaw Mucha (Absolut Warhola), dessen Film Ein Wunder den Anfang macht, hat Leute in Polen dabei beobachtet, wie sie am Ort einer Marienerscheinung das Bild der Mutter Gottes suchen. Da stehen sie mit Brillen und Ferngläsern, beschreiben, was sie sehen: den Umriss der Erscheinung, sogar ein Kopftuch. Andere suchen noch, wechseln den Standort, lassen sich von den „Sehenden“ Tipps geben, dann – nach endlos erscheinenden sechs Minuten – endlich der Kameraschwenk. Wer sich nach der Abblende, die ihm auf halbem Weg folgt, nicht ertappt fühlt, dem ist nicht zu helfen.

Frederic Pelle entwirft in Pieces of My Wife die komische Tragik eines alten Mannes, dem soeben die geliebte Frau gestorben ist. Hartnäckig weigert er sich im Krankenhaus, die erforderlichen Formulare auszufüllen, gibt vor, froh zu sein, sie endlich los zu sein. Nein, für Organspenden wolle er den Leichnam nicht zur Verfügung stellen: Unerträglich findet er den Gedanken, es könnten auch nur Teile seiner Frau weiter herumlaufen.

Andere Filme des Programms nähern sich mit den Mitteln des Experimental- oder Animationsfilms den kleinen Lügen des Lebens. Doch alle verweisen auf diese Flunkereien durch geringfügige Diskrepanzen zwischen Wort und Bild, die oft zum Lachen reizen – ohne jedoch die Gezeigten dem Spott preiszugeben.

Sechs der Kurzfilme stammen von Corinna Schnitt selbst. Ihr Metier ist der Schein des Autobiographischen. Immer wieder schlüpft die 1964 in Duisburg geborene Künstlerin in fremde Rollen, sei es für eine Fotoreihe oder für einen Kurzfilm. In Schönen guten Tag sieht man sie ununterbrochen beim Putzen einer Altbauwohnung, während aus dem Off die Vermieter, ein entsetzlich penibles Ehepaar, abwechselnd auf dem Anrufbeantworter zu hören sind. „Sie waren seinerzeit so liebenswürdig und haben uns den Kellerschlüssel anvertraut. Ich wollte sie nur ordnungshalber informieren, damit sie Bescheid wissen. Wir werden dann, solange die Arbeiten andauern, den Absperrhahn zudrehen, den Keller abschließen und anschließend wieder alles abschließen.“

Den Schrecken von Wohnverhältnissen thematisiert auch Das schlafende Mädchen. Eine einzige, aufwendige Kamerafahrt fängt vom Überblick über eine menschenleere, eintönige Neubau-Vorstadtsiedlung bis zum Detail eines seltsam deplaziert wirkenden Vermeer-Gemäldes in einem der Häuser die ganze Ereignislosigkeit eines solchen Lebens ein. An etwas, das geschehen könnte, gemahnt nur die Stimme des Versicherungsvertreters, den wir hier – abermals von einem Anrufbeantworter – hören.

Immer treibt Schnitt ein scheinbar normales Leben in Ton und Bild mit präziser Zurückhaltung ins Absurde. In Raus aus seinen Kleidern und Zwischen vier und sechs hört man Schnitts Stimme im Off aus einem Leben erzählen, als sei es ihres. Jedes Hadern mit der Grammatik, jedes „Äh“ sitzt, als würden die Sätze in einer spontanen, alltäglichen Erzählsituation gesprochen. Und wieder sind es die städtischen Architekturen, die zwischen die Wörter den Zweifel schieben.

In den „Prima Leben“ wohnen unzählige Neurosen. Corinna Schnitts Filme Schloss Solitude und Das nächste Mal sind nun erstmalig in Hamburg zu sehen. Eins ist sicher: Auch diese beiden werden wieder irgendwelchen Lügen zu Leibe rücken.

Christiane Müller-Lobeck

Donnerstag, 20 Uhr, Lichtmeß