Zwanzigmal Maria?

Voll heimischen Geschichten- und Liedguts, doch angeblich völlig unsentimental: Das „1. Deutsche Krippenspiel-Festival mit Hajusom!, Station 17, Mariola Brillowska und Manuel Muerte in der Kampnagel Music Hall

Nur eine winzige Kleinigkeit unterscheidet das Krippenspiel von den mittelalterlichen Mysterienspielen: Wirklich jeder kennt die Geschichte vom Kaiser Augustus, der das Volk schätzen lassen wollte (was in aller Welt bedetuet „schätzen“?), der darob das heil‘ge Paar zur Flucht sowie zur Zur-Welt-Bringung des Jesuskindes in Bethlehems Stall motivierte. Alles sattsam bekannt, alles tausendmal bei Kirchen- und Schulaufführungen gesehen und gespielt – ein Stoff, den man eher mit Gähnorgien als mit Glaubensinhalten verbindet, weil einfach zu viel Zuckerguß auf die eigentliche Message gestreut wurde.

Warum also soll man das Ganze nicht – wie schon Hugo Ball – nicht mal wieder auf theatrale Form reduzieren, dachte sich das Kampnagel-Music-Hall-Team um Eva Maria Stüting. Das 1. Deutsche Krippenspiel-Festival, Untertitel: Die Weihnachts-Show wurde darob ersonnen, um „jeden, wie‘s ihm beliebt, in Kindheits-Muster zurückfallen zu lassen oder auch nicht“, wie Stüting betont. Eine bunte Nummernrevue wird es also kurz vor Weihnachten dort zu sehen geben, teils interaktiv angelegt und ohne allzu hehren Anspruch.

Das Flüchtlings-Ensemble Hajusom! wird einen Beitrag leisten, ebenso Station 17, Mariola Brillowska und Manuel Muerte; auch ein Film wird gezeigt. Und selbstverständlich wird das Kampnagel-Team ein höchsteigenes Krippenspiel zur Aufführung bringen. „Im Anschluss daran wird es ein Zuschauer-Casting geben sowie eine abermalige Krippenspiel-Inszenierung“, prophezeit Stüting. Und was, wenn dann – zwecks Bewältigung frühkindlicher Zurückweisungs-Traumata – plötzlich 20 Frauen die Maria spielen wollen? „Dann wird das eben ein Verfielfältigungs-Event der besonderen Art“, sagt Stüting.

Eins soll der Abend jedenfalls nicht sein: ein sentimentales Weihnachts-Revival, das doch nur schwacher Ersatz für die aus Trotz nicht besuchte Familienfeier ist. Obwohl natürlich – fast hätte man‘s vergessen! – durchaus Lieder gesungen werden sollen in der Music Hall: „Wir wollen ein kleines Gesangbuch edieren und so auch das Fest selbst als theatrales Event begreifen“, sagt Stüting.

Als „Feuerwerk zum Jahresende“ bezeichnet sie das Krippenspiel-Festival – nur dass der Dramaturgie, bedenkt man es recht, doch etwas ganz Entscheidendes fehlt: die alljährlich wieder vergnügliche Fehde mit Schwägerin und Schwiegermutter – oder zumindest mit der Tante dritten Grades. Aber vielleicht kann man sich, bevor man zu Advents-Evergreens abrockt, wenigstens mal kurz mit seinem Sitznachbarn in die Haare bekommen.

PETRA SCHELLEN

1. Deutsches Krippenspiel-Festival: Sonnabend, 21. Dezember, 20 Uhr, Kampnagel Music Hall