Für Büromenschen und Shoppende

Ein Geschenk für die Stadt oder konservative Position im aktuellen Hamburger Kulturkampf: Die Zeit-Stiftung eröffnet mit der Ausstellung „Picasso und die Mythen“ neben dem Rathaus, doch unabhängig von ihm, das Bucerius Kunst Forum

von HAJO SCHIFF

Sogar der Tagesschau war es einige Sekunden wert: Hamburg hat ein neues Museum. Gleich rechts neben dem Rathaus spendierte die Zeit-Stiftung das kleine aber feine Bucerius Kunst Forum. Als Mieter der Vereinsbank, bei der einzelne sich schon ärgern sollen, das nicht selbst gemacht zu haben, bespielt sie 630 Quadratmeter neue Ausstellungsfläche um die alte Reichsbankkassenhalle von 1917. Dort stehen jetzt eine dicknasige Krieger-Bronze im Zentrum der mosaizierten Säulenhalle, schlank überlängte Schattenfiguren, das kubistisch gebrochene Absinth-Glas und Gemälde aus allen Produktionsperioden Picassos. Gegen eine Präsentation von 170 Arbeiten des anerkannten Künstlers ist eigentlich nichts zu sagen, das ist historisch gesicherte „Moderne“, und schließlich gibt es auch hier immer wieder einzelne Arbeiten, die noch nie gezeigt wurden.

Die Ausstellung heißt Picasso und die Mythen. Doch was soll nur mit diesem letzten, werbewirksam raunenden Wort gemeint sein? Sicher ließ sich Picasso, der neben der Frau den Stier und besonders den Minotaurus zu seinem Lieblingsmotiv zählte, immer wieder von der Antike formal anregen, er hatte sogar iberische Figurinen gesammelt. Aber bedeutet das, dass seine Kunst mythisch ist? Von den im Bucerius Kunst Forum als Referenzstücke gezeigten über 40 kleinen Figuren, Vasen und Tellern sind bis auf wenige afrikanische Ausnahmen fast alle aus der iberischen und griechisch-römischen Antike.

Mediterrane Diesseitigkeit und nicht ferne Magie sind der Bezugspunkt für Picassos vergegenwärtigende Kraft. Muss man denn Picassos mit überzeitlichem Eros gesättigtes Werk heute noch mit dem Hinweis auf alte Tradition populärer machen? Und trotz gelehrter, vergleichender Aufsätze im Katalog: Der einzige Mythos, den dieser frauenverschlingende und superproduktive Mann letztlich durchsetzen wollte und konnte, ist sein eigener Künstler-Mythos. Der allerdings eignet sich hervorragend für ein Forum, das Populäres und Kulinarisches nicht nur nicht scheut, sondern sogar ausdrücklich Büromenschen und Shoppende zu Brunch und Lunch mit den Leibgerichten Picassos im Keller am Alsterkanal einlädt.

So klein und fein, das kein Museumsshop hineinpasste, ist der neue Kunstort auch nicht: Dort sind allein fünf verschiedene Picasso-Kalender zu erwerben. Wie zitierte Peter Striebeck doch bei der Eröffnungsfeier in der Börse den Künstler: „Museen sind ein Haufen Lügen, und Leute, die aus der Kunst ein Geschäft machen, sind meistens Betrüger.“ Aber um nicht polemisch zu werden: Eigentlich könnte man sich über die Verstärkung des Kunstangebots in Hamburg freuen, ist doch das ganze Forum wie ein Geschenk, es hat die öffentliche Hand keinen Cent gekostet. Für die Fachinteressierten gibt es zudem Kooperationen mit dem kunstgeschichtlichen Seminar und dem Warburg-Haus. Der Vorstand der Zeit-Stiftung versichert zudem, dass auch andere Projekte in der Hamburger Kulturlandschaft weiterhin gefördert werden sollen.

Und doch irritiert die zugleich elitäre und populistische Haltung, die hier immer wieder hervorscheint. Besonders wenn der künstlerische Leiter Prof. Dr. Heinz Spielmann, pensionierter Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums Schloss Gottorf, stets für sich Qualität und Stringenz in kleinen Präsentationen einfordert, den Kollegen in den anderen Häusern aber ausufernde „Beliebigkeit“ unterstellt: dann wird klar, wie sehr der neue Ort auch eine konservative Position im in Hamburg entbrannten Kulturkampf markiert.

täglich 11–19 Uhr, geschlossen nur 24. + 31. Dezember, Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, bis 16. März 2003; Katalog 264 Seiten, 19,80 Euro. Filmprogramm zu Picasso im Abaton (siehe Kinoprogramm)