„Man kann nicht alles bewachen“

Beim Berliner Verfassungsschutz ist der islamistische Extremismus inzwischen ein Schwerpunkt der Arbeit. Schließlich kann auch Berlin, sagt Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid, ein Anschlagsziel sein. Sie warnt allerdings vor Panik

Interview PLUTONIA PLARRE
und UWE RADA

taz: Frau Schmid, was, glauben Sie, ist die erste Frage, die die taz einer Chefin des Berliner Verfassungsschutzes stellt?

Claudia Schmid: Das ist eine gute Frage. Was denn?

Das fragen wir Sie. Oder wissen Sie es nicht, weil die taz nicht mehr unter Ihrer Beobachtung steht?

Die taz ist genauso wenig wie andere Zeitungen ein Beobachtungsobjekt.

Sie war es aber einmal.

Das muss lange vor meiner Zeit gewesen sein.

Heißt das auch, dass Sie sich vor der Gefahr von links nicht mehr so sehr fürchten?

Die Beobachtung des Linksextremismus ist natürlich nach wie vor Aufgabe des Verfassungsschutzes. Bereits vor dem 11. September war aber der islamistische Terrorismus, vor allem die Mudschaheddin-Gruppen, ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Auch der Rechtsextremismus hat sich zu einem Schwerpunkt entwickelt.

Der Feind steht also nicht mehr links.

Extremismusbekämpfung ist keine Frage von Freund und Feind. Die Gefahrenlage ist heute eine andere als vor ein paar Jahren, als der linksextremistische Terror im Vordergrund stand.

Dann lassen Sie uns doch einmal über den neuen Schwerpunkt reden. Wie beobachten Sie den islamistischen Terrorismus?

Mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.

Sie sprechen also Arabisch.

Ich arbeite ja nicht alleine in unserer Abteilung. Wir haben einige ausgezeichnete Experten, die unter anderem auch Arabisch sprechen.

Wie viele sind das?

Wir wollen zwar ein transparenter Verfassungsschutz sein. Aber wir verkünden nicht in der Öffentlichkeit, wie viele Mitarbeiter mit den einzelnen Aufgaben betraut sind. Damit müssen Sie sich jetzt mal zufrieden geben.

Tun wir aber nicht.

Ja, auch mit Sprachkenntnissen. Das Problem ist doch aber: Als Nachrichtendienst, der den islamistischen Terrorismus bekämpft, also Menschen, deren Ziel es ist, die westliche Welt anzugreifen, können wir nicht in einer Zeitung verkünden, mit wie vielen Mitarbeitern und mit welchen Mitteln wir gegen sie vorgehen.

Wir arbeiten dagegen bei einer Zeitung. Und die möchte ihren Lesern ein Bild davon vermitteln, ob und, wenn ja, wie ein Nachrichtendienst überhaupt in der Lage ist, auf die veränderten Bedingungen in diesem Bereich zu reagieren.

Ich kann mich nur wiederholen. Ich kann keine Einzelheiten über operative Maßnahmen nennen. Was ich aber sagen kann, ist, dass wir mit der Neustrukturierung des Verfassungsschutzes auch begonnen haben, neue Leute ins Amt zu holen. Da haben wir gerade im Bereich des Ausländerextremismus Wert darauf gelegt, dass wir Fachleute einstellen wie Turkologen oder Islamwissenschaftler mit Schwerpunkt bei arabischen Gruppierungen. Das ist ein Prozess, der mit meiner Amtseinführung begonnen hat. Wir haben da etwas in die Wege geleitet, was bei anderen Behörden teilweise erst nach dem 11. September begonnen wurde.

Kommen wir zur Gefährdungslage in Berlin. Glauben Sie, dass die wesentliche Gefahr eher von hier lebenden Extremisten ausgeht, oder kommt sie von außen?

Man muss unterscheiden zwischen den Mudschaheddin-Gruppierungen, also den islamistischen Zellen, auf der einen Seite und Gruppierungen wie Hamas und Hisbullah auf der anderen. Letztere verfolgen vor allem nationale Ziele und sind viel fester organisiert als Mudschaheddin-Zellen. Die agieren mit weltweiten Anschlägen und im weiteren Umfeld von al-Qaida, weitgehend selbstständig und sind auch wesentlich schwerer zu packen. Die größere Gefahr besteht bei Personen, die diesem Umfeld angehören, und die von außen, auch aus den arabischen Ländern, einreisen.

Das heißt, die Aufregung über die konstant hohe Zahl von Hamas oder Hisbullah-Anhängern kann man auch etwas tiefer hängen.

Die sind auch islamistisch, verfolgen aber andere Ziele. Der Hamas geht es zum Beispiel um den Nahen Osten, während die Mudschaheddin den Dschihad, den weltweiten Kampf gegen die westlichen Werte, im Grunde also gegen die ganze westliche Welt, propagieren. Insofern suchen sie sich ihre Ziele auch überall, das betrifft vor allem die Soft Targets, also zum Beispiel die Touristenziele. Hamas und Hisbullah sind in Deutschland dagegen noch nie durch terroristische Aktionen aufgetreten. Sie unterstützen durch Propaganda, Demonstrationen und Spendensammlungen aber auch militante Aktionen in Nahost.

Halten Sie es für möglich, dass sich hier lebende Mitglieder dieser Gruppen radikalisieren? Dass es da zum Beispiel auch zu Einzelaktionen kommen kann?

In der Vergangenheit gab es emotionalisierte Einzeltäter, meistens jüngere Leute, die im Umfeld von Demonstrationen zu militanten Aktionen gegriffen haben. In diesem Jahr gab es außerdem Attacken auf Juden in Berlin. Bei den Anschlägen auf den jüdischen Friedhof und Synagogen ist ja noch nicht ganz klar, welchen Hintergrund das hatte – ob Rechtsextremisten oder arabischer Extremismus. Wir beobachten auch mit großer Aufmerksamkeit Gruppierungen wie Hisb ut-Tahrir und andere, die selbst zwar nicht gewalttätig sind, die aber möglicherweise ein Bodensatz dafür sein können, dass es zu mehr Aggressivität oder Radikalisierung kommen kann. Auch sie hetzen ja gegen die westlichen Werte und fordern die Auslöschung des Staates Israel.

Wie groß ist denn in der Szene die Zustimmung zu Anschlägen wie in Mombasa?

Da kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt keine Auskunft geben. Wir werden das untersuchen.

Ist Berlin ein Anschlagsziel?

Ich möchte nicht zur Panik beitragen, weil wir überhaupt keine Anhaltspunkte konkreter Art haben. Berlin kann aber genauso betroffen sein wie andere Ziele in Deutschland auch. In den letzten Warnungen von al-Sawahiri oder Bin Laden wurde Deutschland erstmals mit anderen europäischen Ländern und Verbündeten gemeinsam genannt. Die Gefahr droht meines Erachtens zwar eher deutschen Einrichtungen im Ausland. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass auch in Deutschland selbst Gefahr besteht.

Wie gut informiert ist Ihr Dienst? Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie von eventuellen Anschlagsplänen Wind bekommen?

Wir bemühen uns, wie die anderen Sicherheitsbehörden auch, alles Erdenkliche zu tun, um solche Vorbereitungen, wenn es sie gibt, aufzudecken. Aber natürlich können wir die Wahrscheinlichkeit nicht in Prozentzahlen angeben.

Können Sie eigentlich ruhig schlafen? Es lastet ja doch eine sehr große Verantwortung auf Ihnen.

Ich schlafe ruhig, nehme die Situation aber sehr ernst.

Und die Bürgerin Claudia Schmid? Hat die manchmal Angst? Schauen Sie manchmal in der U-Bahn nach allein stehenden Taschen?

Nein, so ein Typ bin ich eigentlich nicht. Wir sollen uns nicht in Panik versetzen lassen. Das ist ja eines der Ziele der Terroristen. Sie wollen die westliche Welt verunsichern und in Angst und Schrecken versetzen.

Aber es gibt ja diesen Widerspruch. Erstmals wurde Deutschland von al-Quaida als mögliches Anschlagsziel genannt, eine Drohung, die auch der Bundesinnenminister sehr ernst nimmt. Auf der anderen Seite heißt es in Berlin immer wieder: Keine Erkenntnisse. Wie geht Ihre Behörde mit diesem Spagat um?

Es ist unbestreitbar, dass wir eine unverändert hohe Sicherheitslage haben.

Hoch heißt hier gefährlich.

Ja. Deutschland ist genannt worden. Wir haben eine gefährliche Situation, auf die wir auch hinweisen müssen. Deutschland ist nicht mehr nur ein Vorbereitungsraum, sondern auch ein Anschlagsziel.

Nun gab es in der Vergangenheit ja immer wieder Meldungen, dass bestimmte Dienste, wie auch in Mombasa, vor einem Anschlag Meldungen bekommen haben. Wenn Sie einen Hinweis bekämen, in der und der Woche könnte etwas in Berlin passieren, wie würden Sie reagieren?

Wir haben häufiger Warnmeldungen. Nur sind die häufig nicht konkret oder haben keinen ernsten Hintergrund. Es ist Aufgabe der Sicherheitsbehörden, genau dies zu überprüfen. Die Bewachung von gefährdeten Objekten ist dann Sache der Polizei.

Man kann nicht jedes Hotel, in dem israelische Reisegruppen absteigen, bewachen.

Bei den so genannten Soft Targets ist es allerdings tatsächlich so, dass man die nicht alle bewachen kann.

Wenn es einen Anschlag gibt, und wenn es einen Hinweis darauf gegeben hatte, lässt sich in einem solchen Fall tatsächlich ein Vorwurf gegen die Sicherheitsbehörden erheben?

Wir müssen alle Warnmeldungen und Hinweise ganz sorgfältig auswerten und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen. Schwierig wird es, wie gesagt, bei allgemeinen Warnhinweisen. Dann ist es für Nachrichtendienste und die Polizei fast unmöglich, im Vorfeld etwas zu verhindern.

Wie laufen in einem solchen Fall eigentlich die Drähte, von wem bekommen Sie die Hinweise?

Das hängt davon ab, wo die Nachrichten herkommen. Wenn sie aus dem Ausland kommen, gehen sie bei uns vom Bundeskriminalamt oder dem Bundesnachrichtendienst ein.

Wie halten Sie sich in den Einschätzungen auf dem Laufenden? Wie oft treffen sich eigentlich die Chefs der Landesämter für Verfassungsschutz? Oder werden solche Dinge inzwischen nur noch über Schaltkonferenzen abgewickelt?

Direkte Treffen gibt es mehrmals im Jahr. Bei aktuellen Lagen und wichtigen Anlässen kommen auch Telefonschaltkonferenzen dazu. Parallel dazu gibt es regelmäßige Konsultationen der Fachleute in diesem Bereich.

Und wie haben Ihre Kollegen darauf reagiert, dass das Berliner Amt nun von einer Frau geleitet wird?

Die Kollegen sind da emanzipiert. Bei einer Tagung hat allerdings ein Gast mal gefragt, ob ich auch Präsidentin sei, der dachte wohl, ich wäre die Sekretärin.

Was haben Sie geantwortet?

Dass ich Abteilungsleiterin bin. Eine Präsidentin des Berliner Verfassungsschutzes gibt es nicht mehr.

Das klingt bescheiden. Honorieren Ihre Mitarbeiter diesen Stil? Oder stellen sie sich quer? Immerhin sind Sie nicht nur die einzige Frau, die in Deutschland an der Spitze einer Verfassungsschutzbehörde steht. Sie strukturieren das Berliner Amt nach den Skandalen der vergangenen Jahre seit Ihrem Amtsantritt vor zwei Jahren ja auch völlig um.

Da gibt es keine Probleme. Ich mache meine Arbeit, und danach werde ich gemessen.

Es gibt auch keinen weiblichen Spürsinn?

Ich bin sehr gründlich und penibel und versuche die Dinge, so weit es geht, zu verfolgen.

Mit Spürsinn meinen wir auch Intuition. Im Fernsehen kommt ja keine Kommissarin mehr ohne aus.

Das gehört natürlich auch dazu.