Raster neu durchleuchtet

Im Juli demonstrierte Berlins Datenschutzbeauftragter einträchtig mit Polizeipräsident Glietsch das Ende der Rasterfahndung. Nun stellt Garstka verärgert fest: Längst nicht alle Daten wurden vernichtet

von OTTO DIEDERICHS

Als Berlins Datenschutzbeauftragter Hansjürgen Garstka und Polizeipräsident Dieter Glietsch Mitte Juli mittels einer Papierschneidemaschine vergnügt eine CD-ROM mit rund 58.000 polizeilichen Datensätzen zersäbelten, wollte Garstka der Polizei noch ein gutes Zeugnis ausstellen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA war auch in Berlin mittels einer computergestützten Rasterfahndung nach so genannten terroristischen Schläfern der Al-Qaida-Organisation gesucht worden. Gefunden wurde niemand. Bei der Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen Behörden sei dem Datenschutz Rechnung getragen worden, lediglich zu Beginn der umstrittenen Fahndungsmethode habe es „ein bisschen geholpert“, befand Berlins oberster Datenschützer damals launig.

Von der sommerlichen Zufriedenheit ist in dem „Sonderbericht über die Durchführung besonderer Formen des Datenabgleichs (Rasterfahndung)“, den Garstka inzwischen dem Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses, Walter Momper, vorlegte, nicht mehr viel geblieben. In dem dickleibigen Werk übt Garstka stattdessen harsche Kritik an einer „übereilten“ Datenerhebung durch die Polizei, „ohne dass die Voraussetzungen nach dem Polizeirecht vorgelegen haben“.

Ein Sinneswandel sei das nicht, sagt seine Sprecherin Anja-Maria Gardain. Im Juli sei es darum gegangen, öffentlich „zu zeigen, die Maßnahme ist beendet“. Eine Tiefenprüfung, die auch „Details beleuchtet“, sei erst später möglich gewesen. Und dabei ist einiges ans Licht gekommen.

So haben Garstkas Techniker bei einer Kontrolle im polizeilichen Computersystem zwar keine Teile der „Terrordatei“ mehr gefunden. Doch die konventionellen Unterlagen zu 114 „Prüffällen“, die in den elektronischen Maschen hängen geblieben waren, „sind bisher noch nicht vernichtet worden“, bemängelt Garstka und fordert, dies umgehend nachzuholen. Bei der Polizei heißt es dazu: 97 Fälle „wertet die Polizei weiter aus“, die übrigen Akten seien vernichtet. Polizei und Datenschutzbeauftragter hätten hier „unterschiedliche Rechtsauffassungen“.

Letzterer dagegen bezweifelt schon, ob überhaupt Ermittlungen in 114 Fällen notwendig waren. Durch den elektronischen Abgleich von 58.032 Anfangsdatensätzen männlicher arabischer Studenten oder Beschäftigter von 44 privaten und öffentlichen Stellen waren seinerzeit noch 3.641 Fälle übrig geblieben. Hier war eine Person in mindestens zwei unterschiedlichen Dateien verzeichnet, womit eine Verknüpfung bestand. Da aber alle Universitäten aufgrund mehrerer Rechtsstreite ihre Datensätze doppelt an die Polizei übergeben hatten, wurden diese auch zweimal durch den Computer gejagt.

Da die „Terrordatei“ nicht mehr existiert, bleibt unklar, wie viele Studenten erst durch diesen Abgleich identischer Dateien zu Anfangsverdächtigen wurden. Nachlässigkeiten gab es auch bei der Weitergabe der Berliner Datensätze an das Bundeskriminalamt. Obwohl selbst vor Computern sitzend, dachten die Kriminalisten offenbar in traditionellen Behördenbahnen und schickten ihre sensiblen Datenträger unverschlüsselt per Post nach Wiesbaden. Daran, dass solche Briefe auch in falsche Hände fallen können, dachte dabei niemand, sodass „die Vertraulichkeit der Daten nicht in jeder Beziehung sichergestellt war“, schreibt Garstka.

Nicht einmal über den Start der Rasterfahndung war seine Behörde offiziell informiert worden. Er wurde erst einen Tag später von der Technischen Universität und der Humboldt-Universität unterrichtet, die der Polizei die Daten ihrer arabischen Studierenden übermitteln sollten. „Vor und in der Regel auch während der Rasterfahndung“ fehlte es an der nach dem Polizeirecht vorgesehenen zeitnahen Unterrichtung, bemängelt Garstka. Dafür ging die Polizei auf der anderen Seite um so forscher vor. Bereits drei Tage vor dem Erlass einer richterlichen Verfügung am 20. September 2001 war bei drei Berliner Universitäten, beim Hahn-Meitner-Institut und bei den Wasserbetrieben die Aufforderung eingegangen, ihre Daten zu übergeben. Sowohl diese Ersuchen der Staatsschützer wie auch die anschließende Übermittlung waren zu diesem Zeitpunkt „unzulässig“ und „rechtswidrig“, urteilt Garstka.

Ein gute Note gibt der Datenschutzbeauftragte den Fahndern nur für den Datenumgang während des eigentlichen Ablaufs der Rasterfahndung. Hier hatte man hausintern Sicherheitsmaßnahmen getroffen, „die teilweise über das allgemein übliche Maß hinausgingen“. Beruhigen kann das angesichts der sonstigen Mängel nicht.