Pipelines und Pilze

Von der Großhirnrinde zum WorldWideWeb, vom Rohrpostsystem bis zum internationalen Flugnetz: Bei der Ausstellung „Das Netz“ im Museum für Kommunikation stehen Netze nebeneinander und wollen sich nicht vernetzen

Auf den Stufen, die aus dem prächtigen Lichthof des Museums für Kommunikation in die Etagen mit den Exponaten führen, stehen große Einmachgläser aufgereiht. Sie sind gefüllt mit allen Arten von Netzen: Einkaufsnetz, Tarnnetz, Orangennetz, Einer Karte vom Berliner U-Bahn-Netz und so weiter. Wenn die Gläser mit den schmucklosen Alltagsgegenständen etwas schmutziger wären, würden sie glatt als Installation von Joseph Beuys durchgehen. Wie ein Trailer bereiten sie auf die Ausstellung „Das Netz“ vor, die seit letzter Woche im Museum für Kommunikation zu sehen ist.

Wenn schon der Ausstellungstitel an einen neueren, amerikanischen Krimi mit Sandra Bullock gemahnt, dann ist auch beim sonst eher zeitlosen Museum für Kommunikation mit einem gesteigerten Aktualitätsfaktor zu rechnen, und in der Tat. Durch den Siegeszug des Internets – das in der Ausstellung witzigerweise nur eine Nebenrolle spielt – ist die Netzmetapher in den letzten Jahren zu einem Dauerbrenner geworden, der gerade auch in der intellektuellen Debatte der Postmoderne eine wichtige Rolle gespielt hat. Selbst die Organisation, die nach Ansicht einiger Zeitgeist-Auguren das Ende der postmodernen Vielheiten eingeläutet hat, ist ein Netzwerk: al-Qaida, der wegen ihrer unübersichtlichen, verflochtenen Strukturen bis heute nicht die Verantwortung für die Anschläge vom 11. September 2002 nachgewiesen werden konnte.

Die interdisziplinäre Ausstellung „Das Netz“ zeigt, wie Netzstrukturen unsere Umwelt in den verschiedensten Bereichen prägen, in künstlichen wie natürlichen Systemen, im Mikro- wie im Makrokosmos: von der Großhirnrinde zum WorldWideWeb, vom historischen Berliner Rohrpostsystem bis zum internationalen Flugnetz reichen die Beispiele, welche die Ausstellung bemüht, um zu demonstrieren, dass schlechthin alles irgendwie Netz ist: „Das Netz ist die universale Ordnungsstruktur der Gesellschaft“, postuliert die Ausstellung gleich zu Beginn. Unter sieben thematischen Schwerpunkten werden also Netze vom menschlichen Kapillarsystem zum Gasnetz präsentiert, und auch die Pilze, die in diesem Jahr nicht wachsen wollen, sind nur das Resultat eines unterirdischen „Pilzmyzels“, über das sie miteinander vernetzt sind; wer hätte das gedacht. Neben den biologischen und technischen Netzen stehen auch soziale Netze: In einem Mitschnitt aus einer Fernsehshow berichtet eine junge Frau, deren Mutter dreimal geheiratet hat, von den komplizierten Vorbereitungen ihrer Weihnachtsfeiern, daneben ist das soziale Netz von ganz normalen Menschen in Diagrammen dargestellt.

Das alles ist didaktisch hervorragend aufgemacht und sofort einleuchtend, und außerdem schmücken handverlesene Exponate die Präsentation. Und trotzdem stehen die verschiedenen Netze nebeneinander und wollen sich nicht so recht untereinander vernetzen. Dass alles von der Nabelschnur bis zum Internet irgendwie ein Teil von Netzwerken ist, sieht man schnell ein. Doch Konsequenzen aus dieser Tatsache (zum Beispiel „think global, act local“) zieht die Ausstellung nicht, sondern begnügt sich mit dem Auflisten verschiedenster Netzwerk-Phänomene. Der Bau eines Spinnenetzes in Zeitrafferaufnahme ist ebenso nett anzusehen wie die japanischen U-Bahn-Stationen, die aus Netzformen entwickelt worden sind. Trotzdem hinterlässt die Aneinanderreihung von verschiedenen Netzwerken irgendwann einen „So what?“-Effekt. Weiter und tiefer geht der Katalog, der Ideen, die die Ausstellung nur anreißt, vertieft. Das die zum Teil hervorragenden Essays von bekannten Autoren neben platten Werbeartikeln für das „Deutsche Post World Net“ stehen, erinnert daran, dass das Museum für Kommunikation trotz seines neuen Namens nach wie vor eine Institution der Post ist.

TILMAN BAUMGÄRTEL

Bis zum 26. Februar, Di–Fr 9–17, Sa–So 11–19 Uhr, Museum f. Kommunikation, Leipziger Str. 16, Mitte. Katalog 17,80 €