Aldi über den Wolken

Für 20 Euro jetten Billig-Airlines durch Europa und fühlen sich als Pioniere eines neuen Zeitalters der Luftfahrt. Der Service bleibt auf der Strecke, und die Umwelt macht eine Bauchlandung. Doch das Billigsegment wird weiter wachsen

von MANFRED KRIENER

Wollen wir heute Abend essen gehen? Vielleicht beim Italiener um die Ecke? Oder doch lieber in der „Trattoria da Enzo“ in Mailand, dort, wo es diese göttlichen Gnocchi in Salbeibutter gibt? Zum Hammerpreis von 9,99 Pfund bietet der irische Preisbrecher „Ryanair“ einen Flug von Frankfurt nach Mailand. Da kommt man bei der Auswahl des abendlichen Speiselokals schon mal ins Grübeln. Oder soll’s für 9,99 nach London gehen, um Big Ben bei einem Tässchen Assam bimmeln zu hören? Oder für 19,99 nach Paris und Nizza, für 29,99 nach Zürich? Europas Metropolen sind plötzlich zum Nahverkehrstarif erreichbar, zum Spottpreis von drei Paar Socken.

9,99 Pfund oder 19 Euro, wie kann das funktionieren?, fragt sich der geneigte Tourist, wenn er im Internet – wo man seine Discountflugreise zeitgemäß bucht – staunend von Billigflieger zu Billigflieger surft. Sie heißen Buzz, Easyjet, Air Berlin, German Wings oder Ryanair, und sie bezeichnen sich als Pioniere eines neuen Zeitalters der Luftfahrt. Ihre Devise: „No frills!“, Flüge ohne Schnickschnack. Schluss mit gedillten Gratislachshäppchen und Champagnerflöten, Schluss mit Dauerstewardessenlächeln. Stattdessen gibt’s kostenoptimierte Flüge zum Oberschnäppchentarif – rüde Umgangsformen und mieser Service inklusive.

Gespart wird an jeder Ecke. Selbst die Toiletten werden seltener geleert. Da es an Bord weder Gratisgetränke noch -verpflegung gibt (belegtes Brot 6 Euro!), sinkt auch die Frequenz der WC-Besuche. Die Sitzreihen sind eng gestellt, so passen mehr Passagiere in den Flieger. Routen und Flugtakte sind so gewählt, dass die Maschinen rammelvoll sind. Gebucht wird übers Internet, das spart Personal. Die Piloten müssen öfter ran, die Maschinen sind häufiger in der Luft, das zugelassene Gepäckgewicht ist stark reduziert. Tickets werden oft nicht mehr ausgedruckt. Reservierte Sitzplätze gibt es nicht. Sobald das Gate geöffnet ist, hetzt die Meute in die Maschine und balgt sich wie im Kino um die besten Plätze. Den Passagieren ist alles egal – Hauptsache billig. Und an der Sicherheit soll ja nicht gespart werden. Sagen die Billigflieger. Die Vorschriften müssten von jeder Airline erfüllt werden, sagt das Luftfahrt-Bundesamt.

Doch so unvorstellbar billig sind die Discounter bei näherem Hinsehen dann doch nicht. Der Ryanair-Flug von Frankfurt nach Mailand ist eigentlich ein Flug von (Frankfurt-)Hahn nach (Mailand-)Bergamo. Hahn ist ein ausgemusterter Militärflughafen im tiefsten Hunsrück. Was hat der mit Frankfurt zu tun? Eigentlich gar nichts. Aber Frankfurt klingt besser als Hahn. Bergamo widerum ist ein kleiner Regionalflughafen 50 Kilometer außerhalb der Stadtgrenze von Mailand. Typisch Billigairlines: Sie steuern mit Vorliebe abgelegene Flugfelder an, auf denen Start-und-Lande-Gebühren niedrig sind. Die Fahrt zwischen Flughafen und City zahlt der Reisende. 80 Euro kostet das Taxi von Bergamo nach Mailand. Man kann natürlich auch auf den Bus warten. 11 Euro kostet der Busshuttle von Frankfurt nach Hahn.

Die teure Anfahrt ist nur ein Teil des Problems. Auch die vorgegebenen Reisezeiten werden nicht garantiert. Und vor allem: Die echten Billigangebote sind auf wenige Plätze kontingentiert. Die machen oft nicht einmal zehn Prozent aus. Christian Fronczak vom Bundesverband der Verbraucherzentralen findet solche „Lockvogelangebote“ wettbewerbsrechtlich problematisch. Eigentlich, so Fronczak, dürfe nur mit Preisen geworben werden, die tatsächlich von den Reisenden bezahlt werden. Wenn es ans Buchen geht, sind die Billigplätze meistens weg. Die Preise klettern dann schnell um 100, 200 oder auch mal 800 Prozent.

Mehr als 20 Millionen Passagiere werden die beiden Marktführer Ryanair und Easyjet am Ende dieses Jahres zusammen transportiert haben, immerhin fast die Hälfte des Lufthansa-Aufkommens. Ray Webster von Easyjet zeigt sich im Interview mit Focus selbstbewusst: „Wenn die Kunden sich an ihre Sparflieger gewöhnt haben, wird es schwierig, sie noch von einem Lufthansa-Tarif zu überzeugen.“

Wenn Thomas von Sturm, Präsident der Pilotenvereinigung Cockpit, die Euphorie der Dumpingairlines beschreiben will, fällt ihm nur noch der Goldrausch vor Alaska ein. Auch die Bahn, das Umweltbundesamt und die Verbraucherzentralen sehen die neue Billigflotte eher mit Bauchgrimmen durch Europa düsen. „Es kann nicht sein, dass der umweltschädlichste Verkehrsträger, den wir haben, derart bevorteilt wird“, sagt Verbraucherschützer Fronczak.

Die Schnäppchenjagd wäre schnell zu Ende, wenn der Flugverkehr nicht so hoch subventioniert wäre. Während bei der umweltfreundlichen Bahn stramm abkassiert wird, zahlen die Fluggesellschaften weder Mineralöl-, Öko- noch Flugbenzinsteuer. Einzig an die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge will die rot-grüne Bundesregierung jetzt rangehen. Aber die Airlines dürfen weiterhin billiges Kerosin tanken un die Abgase ungestraft in die Atmosphäre pusten. Bahnchef Hartmut Mehdorn grantelt: „Wenn die Fluggesellschaften genau wie wir Mineralöl- und Ökosteuer zahlen müssten, wäre jedes Ticket zwischen Frankfurt und Berlin mindestens 20 Euro teurer.“ Und Bahnvorstand Hans-Gustav Koch sekundiert: „Das ist ökologischer und volkswirtschaftlicher Wahnsinn, und das Schlimmste ist, dass der Staat das auch noch unterstützt.“

Flugverkehrsexperte Karl Otto Schallaböck vom Wuppertal Institut hat die dramatische Klimabelastung durch den Fliegerboom hochgerechnet. Seine Bilanz: Mittlerweile blase allein der Luftverkehr schon 30 Prozent der Schadstoffe in die Luft, die nach den Klimavorgaben bis 2005 für den gesamten Verkehr zulässig seien. Geht man von der gewünschten Halbierung der Kohlendioxidemissionen bis 2020 aus, dann wird zu diesem Zeitpunkt, so Schallaböck, „allein der Luftverkehr Klimabelastungen in einem Umfang auslösen, wie sie für den gesamten Verkehr vorgesehen wären“. Allein der innereuropäische Luftverkehr wird dann doppelt so stark sein wie der weltweite Luftverkehr des Jahres 1970.

Doch eine ökologische Debatte um die Billig-Airlines ist bisher nicht erkennbar. Im Gegenteil. Auch etablierte Fluggesellschaften wollen nachziehen und „ein neues Kapitel in der Luftfahrtgeschichte aufschlagen“. Auch sie stürzen sich in das Abenteuer Billigflüge. „Germanwings“ heißt die neue deutsche Discount-Airline, an der Lufthansa zu 25 Prozent beteiligt ist. Sie fliegt seit Ende Oktober ab Köln-Bonn zu Dumpingpreisen ab 19 Euro. Der Touristikkonzern TUI jettet mit dem neu gegründeten Billigheimer „Hapag-Lloyd-Express“ seit Dezember durch Europa. Der Preiskrieg hat gerade erst begonnen. „Das Billigsegment“, glaubt Easyjet-Chef Webster, „wird noch mindestens zehn Jahre lang sehr schnell wachsen.“