Braunes Vieh mit schwappenden Eutern

Elegische Ironie statt harmloser Bremensien: Bei Friedo Lampe wird ein Tonfall in Literatur aufgehoben, den in Bremen kaum noch jemand im lebendigen Gespräch bewahrt. Mit „Von Tür zu Tür“ ist nun, posthum, eine Lampesche Geschichtensammlung neu erschienen

Friedo Lampe ist ein großer Autor, der Pech gehabt hatEndzeitstimmungen, Schwäne, Stubenhocker: Lampe erzählt von all’ dem in erstaunlich filmischer Form

Wenn man das Stichwort „Magischer Realismus“ hört, fällt einem natürlich als Erstes die zeitgenössische lateinamerikanischen Literatur ein. Es gab ihn aber schon viel früher und näher. Friedo Lampes Stil wurde so bezeichnet, und er selber gebrauchte den Begriff bereits 1944 in einem Text über Goethe. Was für Gabriel García Marquez das tropische Dorf Macondo war, wurden für Lampe Bremen und die norddeutsche Landschaft.

Das liest sich so: „Im purpurnen Norden das Land. Auf den Wiesen das braune Vieh mit den schwappenden Eutern. Und die Mühlen und das Moor, und die schwarzen Segel der Torfboote, sanft gebläht.“ So der Anfang der Erzählung „Das dunkle Boot“ aus dem neulich erschienenen Band „Von Tür zu Tür“ mit kurzen Texten, die Lampe gerne „Phantasien und Capriccios“ nannte. Vielleicht bringt dieser Erzähleinstieg den Reiz der Lampeschen Texte am besten auf den Punkt. Hier sind die Poesie, die düster schwere Grundstimmung, das Assoziative und das Heimatliche ideal verdichtet.

Bei Lampe wird ein Tonfall in Literatur aufgehoben, den in Bremen kaum noch jemand im lebendigen Gespräch bewahrt: Wer kennt oder trinkt heute „eine Satte dicke Milch“, wo sind Worte wie „Persenning“ alltäglich, wo sonst beginnen Geschichten mit „Anton, ein junger Kaufmann aus Bremen“ oder sagt ein Leuchtturmwärter „Ach Deern“ ? Das Überraschende an den Texten von Lampe ist nun aber, dass diese alles anders als harmlose Bremensien sind.

Friedo Lampe ist ein großer Autor, der Pech gehabt hat: Sein erster Roman „Am Rande der Nacht“ wurde 1935 von den Nazis verboten. Sein zweiter, „Septembergewitter“, war ein Misserfolg und seine hier jetzt vorliegende Sammlung mit Erzählungen erschien nach vielen Schwierigkeiten 1946, als in Deutschland das Brot wichtiger war als Bücher. Lampe selber wurde noch in den letzten Kriegstagen von russsischen Soldaten erschossen – eine Verwechslung.

Lampe zeichnet eher Stimmungsbilder, als dass er durchgängige Geschichten erzählt. Und es sind fast immer Endzeitstimmungen, wie man schon an einigen Titeln erkennen kann: „Sommer verglüht“, „Am dunklen Fluss“, „Lustgarten 23.30 Uhr abends“, „Schwanentod“. Die Schwäne haben es ihm besonders angetan. In vielen seiner Texte tauchen sie auf, meist tönt von einer nahen Kirche noch eine Orgel ans Ohr, und man setzt sich gerne in die „offene Holzveranda“. „Friedlich und still lagen die Dampfer und Fischkutter im Abendlicht.“

Wenn Lampe literarisch „zu Hause“ bleibt, liest er sich wunderbar. Sobald der Schauplatz wechselt, wird er schwächer. Lampe, als Humanist, hat leider eine Schwäche für die Antike. Folglich gibt es einige sprachlich feingedrechselte, jedoch blutleere Texte wie „Der Raub der Europa“ oder „Neros Tod“ (in Versform). In der Erzählung „Die Alexanderschlacht“ deutet sich an, woher diese Flucht in die Vergangenheit kommen könnte: Da langweilt sich ein begabter Feingeist bei der Vorführung einer „alten Posse mit Gesang und Tanz“ in einem Kurtheater und träumt sich und seine Freunde in ein Schlachtgemälde von Altdorfer.

Lampe hat sich in der „Von Tür zu Tür“-Sammlung, zu der auch verstreut veröffentlichte Texte und solche aus dem Nachlass stammen, an vielen Stilen und Genres versucht: Es gibt eine melodramatische Detektivgeschichte („Das magische Kabinett“), eine Farce als „kleine Formenfibel“ mit Brief, Drama, Taufpredigt, Kanzleistil, Roman, Lyrik, Reportage und Singspiel („Eduard“) sowie ein sanft spöttisches Dornröschen-Remake („Nach hundert Jahren“).

Lampe erzählte für seine Zeit erstaunlich filmisch, man könnte ohne viel Mühe die Schnitte, Schwenks, Zooms, Totalen, Nahaufnahmen und Parallelmontagen in seinen Texten finden und benennen. Und er machte auch gerne seine Poetik selber zum Thema. So gibt es in „Laterna Magica“ einen jungen, idealistischen Drehbuchautoren, der sich genau in die Art von Film hineinträumt, denen Lampe sich literarisch nähert. In Lampes Texten will immer jemand aufbrechen, die alten Formen und Zwänge hinter sich lassen – aber nur wenigen gelingt es, mit dem „Frachtdampfer Pallas“ hinauszufahren. Lampes Helden sind eher die Stubenhocker, die davon träumen. Von dieser Sehnsucht und einer elegischen Ironie sind seine Texte durchzogen.

Wilfried Hippen

Friedo Lampe: „Von Tür zu Tür“ (22 Euro). Ebenfalls beim Göttinger Wallstein Verlag ist die Lampe-CD „Am Rande der Nacht“ erschienen, herausgegeben von Michael Augustin