Die große TV-Gesundheitsreform

Das Fernsehen reagiert mit neuen Mediziner-Melodramen auf das kranke Heilwesen

Die Krankenkassen greifen zum allerletzten Mittel:zum Bonusheft des Todes

Knitterfreie Weißkittel, frisch gestärkte Kompressen, elastische Bruchbänder, appetitliche Türme von Mullbinden vor Designer-Behandlungslandschaften – nichts fasziniert deutsche Fernsehzuschauer mehr als die sagrotangeschwängerte Welt der Ärzte. Doch jetzt drohen Gesundheitsreform, Beitragserhöhungen und Ärztestreik. Kein Wunder also, wenn in deutschen Fernsehsendern fieberhaft an der Entwicklung kostendämpfender Medizinal-Melodramen gearbeitet wird. Noch wird operiert, was das Skalpell hergibt, doch „Flughafenklinik“, „Medicopter“, „Klinik unter Palmen“ sind passee – jetzt kommen „Bergwerksklinik“, „Großmarkthospital“ und „Meditram“. Erstmals wird hier der über die künftigen Ärzteserien gebreitete Gazeverband gelüftet, um die von der Wussow’schen Krankheit befallene Fangemeinde schonend auf die große TV-Gesundheitsreform vorzubereiten:

In dem abenteuerlichen Dentistenthriller „Die Zahnseidenstraße“ geht es um die kriminellen Machenschaften deutscher Zahnärzte. Auf der Zahnseidenroute werden Millionen von Billigbrücken aus dem Reich der Mitte in deutsche Dentallabors geschmuggelt. Skrupellose Ärzte verbauen chinesischen Zahnersatz, berechnen deutsche Preise und verdienen sich so eine goldene Nase. Erst als auch Horst Seehofers vermeintlich in deutscher Wertarbeit gefertigtes Zweitgebiss schon bei der ersten knusprigen Schweinshaxe zu Bruch geht, wird das ganze Ausmaß des Skandals offensichtlich: Sein Arzt hatte ihm das Modell „Große Mauer“ eingesetzt …

Erst kamen „Die fliegenden Ärzte“, jetzt sorgen „Die liegenden Ärzte“ für medizinische Serien-Behandlung. Die Äskulapjünger von Pro Sieben lassen ihren Arbeitstag im Gegensatz zu „Emergency Room“ ziemlich ruhig angehen – Dienst nach Vorschrift ist hier Programm: Zum Arbeitsbeginn gibt es erst mal ein gemeinsames Frühstück, das erst abgebrochen wird, wenn der Gong zum Kantinenessen ruft. Nach einer zweistündigen Siesta im Stationsschlafraum gehen die gut ausgeruhten Mediziner dann endlich auf Visite. Was Wunder, wenn bei diesem permanenten Bummelstreik der eine oder andere Notfall abgewiesen werden muss. Und so schieben die liegenden Ärzte ihre ruhige Kugel, bis eines Tages die Gesundheitsministerin persönlich eingeliefert wird …

Nachdem das ZDF erfolgreich in der „Schwarzwaldklinik“ operieren ließ, wollen auch andere deutsche Mittelgebirge ihren Anspruch auf publikumswirksame Darstellung ihrer Heil- und Kurorte verwirklicht sehen. Das neueste Produkt fernsehmäßiger Kurpromotion ist die Vorabendserie „Das Sanatorium im Spessart“. Sat.1 garantiert freie Arztwahl und „amüsante Liebeshändel in unverbauter Landschaft“. Der Fremdenverkehrsdirektor der Rhöngemeinden hingegen plant die Mitfinanzierung einer ARD-Serie, die unter dem Titel „Rhön-Reha“ die ausgezeichneten Verhältnisse in den Rhönkliniken geschickt in die Handlung einarbeiten soll. Was Wunder, wenn andere Regionen und Sender da nicht nachstehen wollen: Pro Sieben lockt mit der „Taunustherapie“, bei RTL sollen bald für die „Die Harzklinik“ die ersten Herzklappen fallen.

Ein abgründiger film noir aus der Welt der Kostendämpfungsmaßnahmen ist „Bonusheft des Todes“. Eine düstere Endzeitvision aus dem Berlin des Jahres 2030: Ärztestreiks und überfüllte Wartesäle – die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist zusammengebrochen, das soziale Netz vollends löchrig geworden. Die Kassen greifen zum letzten Mittel – zum Bonusheft des Todes. Nach dem zehnten Arztbesuch gibt es die Todesspritze. Endlich darf das deutsche Gesundheitswesen wieder Hoffnung schöpfen. RÜDIGER KIND