„Trittin hat im Strafraum gefoult“

Undine Kurth, naturschutzpolitische Sprecherin der bündnisgrünen Regierungsfraktion, kritisiert die Genehmigung des zweiten deutschen Offshore-Windparks in der Nordsee. Sie fordert den Bundesumweltminister auf, die Entscheidung zurückzunehmen

Interview NICK REIMER

taz: Frau Kurth, in der letzten Woche wurde mit dem Windpark Butendiek ein zweites Offshore-Gebiet in der Nordsee ausgewiesen. Die Genehmigungsbehörde – das Bundesamt für Schifffahrt und Hydrographie – feiert den Bescheid als Pionierleistung. Sie attackieren diese Leistung scharf. Warum?

Undine Kurth: Es ist erklärtes Ziel der Grünen, den Anteil der Windenergie am Stromverbrauch innerhalb der nächsten Jahrzehnte auf mindestens ein Viertel auszubauen. Das geht aber nur, wenn es für die Offshore-Projekte eine hohe Akzeptanz gibt. Die fehlt in diesem Fall: Vogel- und Naturschützer kritisieren, dass das Bundesamt die jüngsten wissenschaftlichen Untersuchungen zum Tierschutz bei seiner Genehmigung nicht berücksichtigt hat.

Pionierleistung müssen sich immer gegen den bestehenden Skeptizismus durchsetzen.

Darum geht es hier nicht. Eben weil die Errichtung von Windparks außerhalb der 12-Seemeilen-Zone technologisches Neuland ist, gibt es einen immensen Forschungsbedarf. Das genehmigte Feld liegt nach Angaben des Naturschutzbundes teilweise in einem Vogelschutzgebiet und Schweinswallebensraum. Jüngste Untersuchungen haben ergeben, dass die im Butendiek geplanten 80 Windräder sehr wohl eine Gefahr für den Vogelzug bedeutet. Auch Störungen in der Kinderstube der Schweinswale sind abzusehen. Hier werden von Mai bis September die Kälber groß gezogen. Werden da etwa Rammarbeiten beim Bau der Windräder in 20 Metern Tiefe durchgeführt, stört das die Kommunikation der Tiere.

Das sieht der oberste deutsche Naturschützer aber anders. Bundesnaturschutzminister Jürgen Trittin erklärte zur Genehmigung: „Den Naturschutzinteressen wird durch die erteilten Auflagen Rechnung getragen.“

Ich vermute, dass Jürgen Trittin die jüngsten Untersuchungen des Bundesamtes für Naturschutz noch nicht kannte. Die kommen zu einem anderen Schluss. Und so lange diese nicht berücksichtigt sind, wird es Widerstand gegen die Forcierung der Offshore-Projekte geben. So kündigten etwa Nabu und BUND Widerspruchsverfahren an. Es ist also eher wie beim Straßenbau als bei der Realisierung einer urgrünen Vision: Obwohl die Umweltschützer eigentlich dafür sein sollten, müssen sie auf gravierende Mängel hinweisen und dagegen mobilisieren.

Dabei müsste man gerade bei Jürgen Trittin einen kurzen Draht zu den Naturschutzverbänden vermuten. Hat der Bundesumweltminister ein Eigentor geschossen?

Ich würde es so formulieren: Trittin hat im Strafraum gefoult. Ob das zum Eigentor wird, erweist sich erst noch. Schließlich gibt es immer Wege, Fehlentscheidungen zu korrigieren.

Angenommen, er tut das nicht. Was dann?

Bekanntermaßen ist Jürgen Trittin einer der stärksten Streiter für die Energiewende. Auch er weiß, dass der Offshore-Ausbau nur naturverträglich machbar ist. Alles andere wäre ein Rückschlag für die Energiewende.

Das Besondere am Projekt Butendiek ist, dass es sich um einen so genannten Bürger-Windpark handelt – Menschen, die eine Energiewende wollen und ihr Geld dafür aufwenden. Machen sich diese Bauherren im Sinne des Naturschutzes moralisch strafbar, wenn sie aufgrund der jetzt erteilten Genehmigung bauen?

Soweit sind wir noch nicht. Ich rechne fest damit, dass es ein Umdenken gibt. Erstens gibt es genügend Alternativen in der Nordsee. Zweitens schaffen wir die Energiewende nur mit den Naturschützern, nicht gegen sie.