Coup geglückt: Union gespalten

Das Kanzleramtspapier zur Sozialreform müsste eigentlich für Zwist in der SPD sorgen. Denn es widerspricht Parteibeschlüssen. Stattdessen entzweit es die Union

BERLIN taz ■ Die Sozialdemokratie wirft ein müdes Auge auf den angeblichen Coup aus dem Kanzleramt – und fährt in die Weihnachtsferien. Ja, einzelne Vorschläge wie ein Bonussystem für Krankenkassenversicherte oder Wahl- und Pflichtleistungen der Kassen widersprechen diametral dem, was Gesundheitsministerin Ulla Schmidt will, was die Fraktion will und was die SPD auf einem Parteitag beschlossen hat. Aber die Sozis bleiben locker.

So weigert sich etwa der Sprecher von Gesundheitsministerin Schmidt, Klaus Vater, das Papier überhaupt ernst zu nehmen: „Das ist ein Diskussionspapier auf niedriger Ebene“, sagte er gestern der taz. Die Überlegungen aus dem Ministerium zur Effizienz im Gesundheitssystem seien „programmatisch weiter und ausgereifter“. Grund- und Wahlleistungen anzubieten habe etwa den privaten Krankenkassen nicht dazu verholfen, dass die Beiträge stabil blieben: „Die steigen trotzdem“, so Vater.

Für Bonussysteme dagegen sei Schmidt unter bestimmten Bedingungen offen. Doch sollten nicht die zufällig Gesunden von ihrer guten Konstitution profitieren, sondern denjenigen ein Bonus eingeräumt werden, die Prävention betreiben. Das sei im Übrigen mit dem Bundeskanzler abgestimmt, „und der hat keine Einwände erhoben. Das ist für uns die Basis, und nichts rüttelt daran“, teilte der Sprecher des Gesundheitsministeriums mit.

Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Helga Kühn-Mengel, stellt nur fest, dass „Stil und Verfahren, wie dieses Papier lanciert wurde, natürlich nicht in Ordnung sind“. Aber die Fraktion sei sich einig, dass man Wahl- und Pflichtleistungen der Kassen ablehne. Das Kanzleramt könne gerne diskutieren, so Kühn-Mengel selbstbewusst, „aber die Beschlüsse machen wir“.

Während die SPD also hörbar kampfes- und kakophoniemüde gen Weihnachten verschwindet, dreht die Union mächtig auf – und widerspricht sich. Der Sozial- und Gesundheitsexperte der Union Horst Seehofer findet, das Kanzleramtspapier klinge wie von der Union abgeschrieben. „Das ist doch unser Regierungsprogramm“, sagte er dem Tagesspiegel. Prompt bot er der Regierung Gespräche über das Thema an. Das wiederum ließ Spekulationen über eine neue Unionsstrategie wachsen. Steuert sie nach dem Kompromiss zum Hartz-Gesetz nun auch in der Sozialpolitik in Richtung Zusammenarbeit oder gar auf eine große Koalition zu?

Von wegen, widersprach Parteichefin Angela Merkel ihrem Sozialexperten. Sie erteilte jedweder Annäherungsstrategie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung eine Absage. Schröder ginge es nur „um das Lancieren von Papieren“. Wenn er tatsächlich Veränderungen wünsche, „würde er mit seinen Ideen ins Parlament gehen“, sagte sie.

CSU-Chef Edmund Stoiber, noch ganz auf Ablehnung geeicht, befand: „Mit dieser SPD ist eine große Koalition nicht möglich.“ Und Roland Koch sekundierte via Bild-Zeitung: „Große Koalitionen sind etwas für Notzeiten, wir haben aber ‚nur‘ eine schlechte Regierung.“ Hauptsache, die Opposition nimmt sich kein Beispiel daran.HEIDE OESTREICH