V: … und jiggern!

Trinken kann jeder. Auch einschenken? Gut gerührt ist nämlich nicht halb geschüttelt, erfahren die, die sich in die bunte Schule des Cocktailings bei Gordon begeben

Mai Tai ohne Minzzweig ist wie Hahn ohne Schwanz. Verdammt. Erster Cocktail – erster Fehler. Aber Rum ist drin. Zu viel Rum. Egal. Ein Barkeeper hantiert nun mal nicht mit dem Jigger, den nur Milchtrinker „Messbecher“ nennen. Ein Barkeeper pourt frei Hand. Weil er den inneren Jigger hat, den Flow, der Alkohol gefügig macht und Frauen willig. Die Libido-Bar in Berlin-Mitte feiert die Urban-Sex-Attack-Party, Performance und pausenlos Drinks – und ich stehe hinter der Theke. Bin Cool. Lässig. Gut sowieso. Meister des Rausches, Artist der Alkoholika – und ehrlich gesagt ziemlich nervös.

„Entspann dich. Nur im kalten Wasser lernt man schwimmen“, hat Gordon, der Barchef dieses angesagten Clubs, gesagt.

Vor einer Woche noch war ich nichts, jetzt bin ich Barkeeper, und während ich locker wippend Crushed Ice in Gläser fülle, denke ich zurück an meine ersten Schritte auf dem langen Weg in Richtung Ruhm.

Abend-Workshop an der Bar des Sage-Clubs in Mitte. „Das absolute A und O ist ein perfekter Mise en Place“, hatte Kursleiter David Wiedemann gesagt. Mise en Place heißt Arbeitsplatz, perfekt heißt: alle Utensilien sortiert nach Dringlichkeit. Wodka, Rum, Cachasa gehören nach vorn. David hat uns viel Praxis versprochen und wenig Blabla, aber ein Spritzer Theorie muss sein: Cocktail heißt Cocktail, weil man einst nach dem Hahnenkampf einen Drink mit Prosit „on the cock’s tail“ trank. Alle Fizzes werden erst nach dem Schütteln mit Sprudel aufgefüllt, weil sonst der Shaker explodiert. Sprudel nennt der Fachmann Soda.

David weiß viel, denn David ist Barmeister, geprüft von der Industrie- und Handelskammer. Nach einer Stunde sagt er „so“, und alle stellten sich aufgeregt um die Bar. Heute nehmen wir nur die „klassischen Drinks“ durch – immer 6 cl Alkohol und meist in der Martini-Schale serviert. Die „Fancy Cocktails“ kommen am Tag drauf dran. Die Karte rauf, die Karte runter – wir mixen, bis die Unterarme schmerzten und pouren literweise Schnaps in Gläser. Einziges Hilfsmittel: zählen wie zwischen Blitz und Donner. 21, 22, zwei Zentiliter. Wenn man Glück hat.

Ich mische 5 cl Wodka mit 1 cl Vermouth und versenke zwei Oliven, doch da hilft kein Schütteln und kein Rühren – Wodka Martini schmeckt nicht. Armer 007. Moritz, der in Varietés mit Shakern jongliert, aber von Cocktails keine Ahnung hat, füllt die Margarita in ein Glas mit Salzrand. Die Barfrau aus dem Sado-Maso-Club, die professioneller werden will, macht den Silver Fizz mit Eiweiß. „Mann, ich hab echt einen sitzen“, sagte Moritz drei Stunden später – und mich musste meine Freundin mit dem Auto abholen.

Tage später, beim Praxistest in der Libido-Bar, ist der Tresen umzingelt. Stress bedroht Coolness. „Ist der Watermelon Man raus?“, fragt Barchef Gordon. Scheiße, nein. Okay, was weiß ich über den Fancy Cocktail? Ordentlich schmücken, hat David gesagt. Aber davor kam noch was … Erst mal Mix-Glas schnappen und Eiswürfel rein.

„Vermeide den Waschbeckenblick, suche den Kontakt zu deinen Gästen“, hat David uns eingeschärft. Sie wollen Spaß, und du willst ihr verdammtes Geld. Also Augen geradeaus, Edelstahlbecher fest aufs Glas dreschen und dann – Shake it Baby! Immer locker aus dem Handgelenk. Davids Merksatz: „Schüttel den Shaker, nicht dich.“

Ich schüttel den Shaker, fahnde mit dem linken Auge nach Frauen, die meinen Bizeps lieben, und suche mit dem rechten nach den neongelben Strohhalmen. Gieße das fertige Gemisch elegant durch ein Sieb, „Strainer“ genannt, in ein neues Glas. Scheibe Ananas dran, Serviette drunter. Und ab damit.

„Ein Mai Tai? Gib mir zwei Sekunden, Baby“, höre ich mich zu dem Girlie sagen, das an der Theke lehnt. Blond, scharf, ergeben. Hey, warum wird man wohl sonst Barkeeper? Jedenfalls nicht, weil man gern mal einen trinkt, oder? Ich könnte mit den Flaschen jonglieren, den Shaker fliegen lassen oder beides zugleich. Ich könnte.

Weil ich nicht nur im Basis-Workshop war, Baby, ich war auch beim Show-Bartending mit Vadim Davidenko, dem zweifachen deutschen Meister im Show-Mixen. Der wirbelt gekonnt wie kein Zweiter mit Flaschen und Shakern, und manchmal spuckt er auch mit Feuer. „Es ist ein langer Weg. „Ich gebe Tipps und verrate Tricks, aber üben müsst ihr selbst“, hat Vadim gesagt.

Und uns gedrillt. Zwanzigmal, zack, zack. Die Buddel hinterrücks in die Luft werfen, sodass sie in hohem Bogen über die Schulter segelt und vorne sicher in der Hand landet. So weit der Plan. Der erste Versuch scheiterte an meinem linken Ohr. Ich wollte den schnellen Erfolg – selbst wenn ich hätte Opfer bringen müssen wie Vadims Meisterschüler Sven, dem die Frau weglief, weil sie keine Lust mehr hatte auf zerdepperte Möbel und Putz, der von den Wänden bröselt.

„Lächeln“, hat Vadim immer wieder gerufen, „denkt dran, die Bar ist voller hübscher Mädchen.“ Die Blonde an der Bar schlägt lasziv die Lider auf und nieder. Warum jetzt noch Show? Lieber cool die sichere Nummer als sicher ins Scherbenverderben. Sie lächelt bezaubernd. Der Flow gerät ins Stottern, mein innerer Jigger versagt. Ich grinse dämlich. Und vergesse mitzuzählen. 2 cl oder 4 cl, das ist der Unterschied, der den Verstand kostet. Gute Reise, Baby.

JAN ROSENKRANZ

Infos: Cocktailschule des Sage-Clubs in Mitte, Brückenstraße 1. Der Schnupperkurs mit zwei Abenden á vier Stunden kostet 145 Eurowww.sagecocktails.de