„Kein Religio-Doping“

Gespräch mit Michael Kühn, 38, der nach sechs Jahren Tätigkeit als deutscher Sportpfarrer sein Amt abgibt

taz: Herr Pfarrer, wie viele Punkte bringt denn ordentliches Beten, beispielsweise einen ganzen Rosenkranz?

Michael Kühn: Im Himmel eine ganze Menge.

Und auf dem Spielfeld?

Da wage ich zu bezweifeln, dass sich das in konkreten Punkten auszahlt.

In der Bundesliga reißen sich die Brasilianer die Trikots vom Leib und preisen mit den Botschaften darunter Jesus. Sind die deshalb auch Weltmeister geworden?

Neinneinnein. Wenn das der ausschlaggebende Grund wäre, bräuchte man nicht mehr Fußball zu spielen, sondern könnte den Wettbewerb gleich im Beten veranstalten.

Wozu dann ein Sportpfarrer?

In erster Linie begleitet der Sportpfarrer den katholischen Sportverband, die Deutsche Jugendkraft (DJK). Damit will die Kirche zeigen, dass sie Interesse hat an den Lebensbereichen der Menschen. Und vielen sagt der Sport eben etwas. Mehr als diese Hauptaufgabe fällt der Öffentlichkeit die Begleitung der Olympiamannschaften auf.

Was machen Sie dort?

Dabei geht es mehr um Themen über den Sport hinaus. Kein Sportler, Betreuer oder Funktionär kann plötzlich auftauchende menschliche Probleme auf Knopfdruck verdrängen. Diese laden sie beim Sportpfarrer ab und erwarten sich Ermunterung. Oder sie suchen einfach einen, der ein bisschen Zeit für sie hat und zuhört. Man ist auch ein Stück weit Psychologe. Es ist nicht nur Notfallseelsorge wie in Salt Lake City, als ein Familienangehöriger eines Athleten im Sterben lag und es galt, ihn in seiner Gefühlslage aufzufangen.

Wie eng ist der Kontakt zu Sportlern und Betreuern?

Das hängt davon ab, welche Vertrauensbasis man findet. Im Wintersport erhalte ich Einladungen. Da heißt es: Mensch, komm doch mal vorbei, wäre schön, wieder mit dir zu reden. Mit wenigen, einer Hand voll, ergeben sich Kontakte über den Sport hinaus.

Sind die Skifahrer also die frömmsten Athleten? Und dopende Radfahrer oder Boxer eher diabolischer Natur?

Nein, das lässt sich so nicht sagen. Beim Skisport fand ich zwei, drei Leute vor, mit denen ich mich sofort verstand. Dadurch öffnen sich weitere Türen. Jede Disziplin ist eine eigene Familie. Findet man in diese Eingang, gehört man dazu. Oft ist es zufällig. Weil ich in Sydney eine Volleyballerin von der DJK her kannte, war ich sofort mit drin. Bei anderen Sportarten findet man vielleicht gar keinen Zugang. Ich sehe das aber gelassen.

Die Bibel ist nicht gerade ein Sportbuch.

Neben Pferderennen liefert Paulus klassische Anspielungen. Im 1. Korintherbrief 9 heißt es, Läufer laufen im Stadion, um den vergänglichen Siegespreis zu gewinnen, ihr aber lauft, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen.

Zum Sportheiligen hat es der Apostel dennoch nicht zusätzlich gebracht.

Solch einen Heiligen gibt es mit Sicherheit, auch wenn er mir jetzt nicht einfällt. Oft ist es ohnehin so, dass wie in Neapel der Stadtpatron San Gennaro im Stadion um Beistand gebeten wird und Kerzen angezündet werden, damit die ja gewinnen.

Es heißt ja, der Glaube versetzt Berge. Haben Sie als Sportpfarrer schon zur deutschen Medaillenbilanz beigetragen?

Sicher nicht direkt. Vielleicht durch ein Gespräch am Vorabend, dass der Athlet ein bisschen ruhiger in den Wettkampf geht, einfach gelassener wird und genau dies das letzte Quäntchen war. Es gibt nicht dieses „Religio-Doping“, bei dem man betet und dann gewinnt.

Haben Gewinner überhaupt Zuspruch nötig? Oder wenden sich nur Verlierer an Sie?

Das ist unterschiedlich. Auch Sieger möchten ihre Freude teilen. Die Verlierer kommen nach der Niederlage nicht gleich zum Pfarrer gelaufen. Die meisten sind Profi genug, um zu wissen, wie sie mit einer eigenen Niederlage umgehen müssen. Wir sind bei Olympischen Spielen hinter Betreuern und Familien die Gesprächspartner des zweiten, dritten Moments nach zwei Tagen, wenn den Sportlern alles immer noch im Kopf herumschwirrt.

Betreiben Sie selbst Sport?

Volleyball.

Dabei schon mal geflucht oder geschummelt?

Ja, das ergibt sich hie und da. Greift man mal ins Netz und hat’s der Schiedsrichter nicht gesehen, meldet man sich natürlich nicht.

Aber Sie beichten diese kleinen Sünden später?

Unehrlichkeit, ja.

INTERVIEW: HARTMUT METZ