Blitze wollen nicht zucken

Die Wahl der Sportler des Jahres bringt nicht nur strahlende Sieger wie Franziska van Almsick oder Sven Hannawald hervor, sondern sie birgt auch manche Enttäuschung. Ein Erfahrungsbericht

Immerhin Rang drei, denke ich. Kurz vor halb zehn platzt auch dieser Wunsch

aus Baden-Baden FRANK KETTERER

Also, ich sach jetzt mal, ich hätte schon ganz genau gewusst, was zu tun gewesen wäre für den Fall der Fälle, dass Poschi und Kristin meinen Namen aufgerufen hätten: Ich wäre hinaufgeschritten ins Scheinwerferlicht der Bühne – nicht zu langsam, aber auch nicht zu schnell, einfach würdevoll eben –, hätte in die erwartungsvollen Augen unten im Saal gelächelt, einen Moment geschwiegen, um die Spannung ins Unaushaltbare zu steigern, und schließlich jene Sätzchen aufgesagt, die ich mir vorher natürlich zurechtgelegt hatte, man will in einem solch großen Augenblick ja nicht unvorbereitet sein: dass ich es noch gar nicht fassen kann, obwohl ich auch ein bisschen damit gerechnet hatte; dass es eine große Auszeichnung für mich ist, eine Ehre, die Anerkennung meiner Leistung, für die ich hart gearbeitet habe und die ich natürlich nie und nimmer hätte erbringen können ohne meinen Trainer oder meine Sponsoren, denen ich auch und gerade in der Stunde des großen Erfolges auf diesem Weg Dank sagen möchte, ebenso wie meiner Mutter, dafür nämlich, dass sie mich überhaupt geboren hat.

Dann hätten Poschi und Kristin mir eine golden glänzende Miniskulptur in die Hand gedrückt, und im Hintergrund der großen Bühne wäre ein kleines Filmchen gelaufen, bei dem es dem Publikum vor Rührung und sentimentaler Erinnerung eiskalt den Rücken hinuntergelaufen wäre: Ich beim Schwimmen; ich beim Radfahren; ich beim Laufen; ich beim Siegen. Dazu hätten sie „One Moment in Time“ gespielt oder eine andere Heldenschnulze, und ich, ich hätte wieder, diesmal noch freudestrahlender, in die Kameras gelächelt und ins Saalpublikum, das dankbar zu mir aufgeschaut und mir Beifall gespendet hätte, warme Ovationen, weil ich allen doch einen so großen, wunderbaren Moment geschenkt habe.

Ich sach jetzt mal, es hätte ein wirklich schöner Abend sein können, Poschi und Kristin, die aussieht wie ein schwangerer Rauschgoldengel und es auch ist, hätten wirklich nur meinen Namen zu nennen brauchen – und mich damit zum Sportler des Jahres gemacht. Sie haben es nicht getan, was ich, ehrlich gesagt, noch immer nicht verstehe, aber so ist eben das Leben, der Sport ist ohnehin ungerecht – und überhaupt: Ich mache mir ja gar nichts aus solchen Wahlen. Ganz im Gegenteil: Ich halte sie prinzipiell für überflüssig, unnötiges Gedöns, aufgeblasenes Theater am Ende des Jahres.

Wobei zumindest der Beginn des Abends im noblen Baden-Badener Kurhaus so schlecht gar nicht war. Am Eingang nämlich lauern die, die den Sport wirklich lieben: die Autogrammjäger. Man flaniert an ihnen vorbei, setzt hier seinen Vinzenz und kritzelt dort seinen Namen auf ein Stück Papier, bevor man im Blitzlichtgewitter der Fotografen die mit grünem Samt ausgelegte Treppe zum Großen Ballsaal hinaufschreitet. Je bekannter man ist, umso mehr Autogramme muss man malen – und umso wilder werfen die Fotografen mit ihren Blitzen um sich. Ich muss nur zwei Autogramme geben, was ich mir so richtig auch nicht erklären kann – und als ich mit Elli, meiner zauberhaften Abendbegleitung, nach oben wandle, wollen die Blitze auch nicht so richtig zucken. Vielleicht hätte mich das stutzig machen sollen.

Vielleicht sind Elli und ich auch einfach nur zu früh ins Kurhaus gekommen. Sportlerwahlen scheinen nämlich so zu funktionieren: Je später einer oder eine kommt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei um den Sieger oder die Siegerin handelt. Kati, die Biathletin, kommt ziemlich spät, dafür aber in einem atemberaubend silbern glitzernden Kleid, das ihre Pumuckl-roten Haare noch mehr leuchten lässt. Das ist wirklich nicht schlecht, Kati wird Dritte und sagt: „Vielen Dank an alle, die mir ihre Stimme gegeben haben.“

Noch später als Kati schwebt Franzi die Stufen hinauf, die nackten Schultern nur geschmückt von einer Leopardenfellkrawatte und einem Tattoo. Später, im Filmchen, wird man Franzi wieder heulen sehen wie Suse, und sie wird live und mit

mächtig viel Pathos in der Stimme dazu sagen, dass diese Wahl was ganz Besonderes für sie sei und ihr Comeback samt Weltrekord überhaupt eine Sache, die man schwer erklären könne. Franzi wird Erste.

Wann Claudi gekommen ist, weiß ich leider nicht mehr, gut möglich, dass ich sie in ihrem dunklen Anzug einfach übersehen habe. Ohne Anni wirkt Claudi nämlich einfach wieder so, wie sie gewirkt hat, bevor es Anni gab und den ganzen Zoff der Eiszicken – ziemlich blass und spröde. Mehr als Platz zwei ist da nicht drin, zwei Olympiasiege hin oder her, Anni wird Fünfte und ist erst gar nicht angereist.

Wenigstens muss man auf Anni nicht warten, ganz im Gegensatz zu Hanni und seinen Freunden. Die Vorspeise, geräucherter Lachs samt Fischpastete, ist längst verzehrt, da befindet sich Hanni immer noch in der Luft, was die Angelegenheit im Saal spürbar in die Länge zieht – und die Männer und Frauen vom ZDF langsam unruhig werden lässt, schließlich ist für 21.45 Uhr die TV-Übertragung geplant. Was man später im Fernsehen nicht sehen kann, ist, dass tatsächlich ein ganzer Saal eine ganze Stunde auf Hanni wartet, der ja am Nachmittag noch im schweizerischen Engelberg sein Zeug machen musste und nun eben noch im Flieger sitzt.

Mir wird in dieser langen Stunde schmerzlich bewusst, dass nur Hanni Sportler des Jahres werden kann, und weil in der Zwischenzeit, quasi aus Zeitvertreib, auch noch ein Interview mit dem langen Dirk aus Dallas aufgezeichnet wird, gerät plötzlich auch noch Rang zwei außer Reichweite. Immerhin Rang drei, denke ich. Kurz vor halb zehn platzt auch dieser Wunsch: Schumi wird Dritter, was mich aber schon nicht mehr weiter stört, wie gesagt: Ich mache mir nichts aus solchen Wahlen – und überhaupt, der rasenden Kolbenfresse aus Kerpen gönne ich es, dass sie nur Dritte wird. Nur Dritter!

Ich sach mal, der Rest ist schnell erzählt. Die Fußballer gewinnen die Wahl bei den Mannschaften, blamieren sich dabei aber wie zu besten Rumpelfüßlerzeiten, weil außer Metzi keiner da ist und Rudi ausgerechnet Mayer-Vorfelder mit auf die Bühne schleppt und dort auch noch labern lässt. Das wiederum scheint selbst den Skispringern zu viel, die, von wem auch immer, vorgewarnt wurden und auf dem Flug von Engelberg nach Baden-Baden dem einen oder anderen Gläschen Sekt zugesprochen haben, was vor allem Michi Uhrmann nicht ganz unbeschadet überstanden zu haben scheint. Dafür übersteht man die fliegende Boygroup MV ohne größeren Schaden – und als Dritter, geschlagen nur noch von den deutschen Basketballern.

Dann sind Ehrung und Sendung zu Ende, und es geht endlich zum gemütlichen Teil des Abends über: Cocktails trinken, Schwätzchen halten, dem Kasino einen Besuch abstatten, ein bisschen mit Sportlerinnen flirten, tanzen bis in den frühen Morgen. Ich sach mal, es ist noch ein ganz netter Abend geworden – und das ganz ohne Titel.