Verschleierungstaktik

betr.: „Der Staat ist keine Mega-ABM“ (Öffentlicher Dienst), taz vom 20. 12. 02

Sicher lassen sich die Finanzierungsprobleme staatlicher Dienstleistungen nicht mit einem Tarifvertrag lösen. Die Probleme derjenigen, die diese Dienstleistungen erbringen, aber schon. „Beamtenprivilegien“ hat der Staat ganz bewusst geschaffen. Der Unkündbarkeit steht das Streikverbot gegenüber – in England streiken aktuell die Feuerwehrleute, was bei uns das Beamtenrecht zum Glück verbietet. Dass Beamte im aktiven Dienst billiger sind als Angestellte, ist auch eine Binsenweisheit.

Zur Finanzierung der Pensionen sind die Dienstherren vom Bundesverfassungsgericht deshalb verpflichtet worden, eine Rücklage einzurichten – ausdrücklich dafür wird Beamten von Tariferhöhungen immer ein Teil vorenthalten. Tatsächlich existiert die Rücklage aber nur in einer Hand voll kleiner Städte, alle anderen Dienstherren verhalten sich grob rechtswidrig und tragen die alleinige Schuld an der Pensionsproblematik. Ohne die öffentliche Verwaltung gibt es keine Stadtplanung, keine Straßen, keine Baugenehmigungen, keine Verkehrsüberwachung, keine Sozialhilfe, keine Lebensmittelüberwachung, keine Gesundheitsämter, keine Unterhaltsvorschusskassen, kaum Sozialarbeiter. All diese Pflichtaufgaben sind eine Dienstleistung, die der Staat nur durch reale Menschen erbringen kann. Dass als Beweis für die Starrheit des Systems nur eines von Theaterangestellten herangezogen wird, beweist die Flexibilität des öffentlichen Dienstes: Die meisten der genannten Aufgaben werden in den Gemeinden erbracht, und der horizontale Wechsel zwischen den unterschiedlichsten Fachbereichen im Laufe des Berufslebens für die universell ausgebildeten Beamten und (Verwaltungs-)Angestellten ist seit Jahrzehnten völlig normal. Das Problem ist die mangelnde Bereitschaft seitens der Politik, vernünftige Vollkostenbudgetierungen zu schaffen, um die Personalkosten sachlich zu beurteilen. Personalkosten werden in Gemeinden faktisch nie auf die einzelnen Leistungen umgelegt, sondern immer als großer Topf gehandhabt.

PolitikerInnen, die sich oft nur eine Legislaturperiode lang mit dem Thema befassen, sehen natürlich das größte Einsparungspotential bei diesem Topf und nicht bei unnützen Prestigeobjekten wie Metrorapids und unsinnigen Sportarenen. […]

VOLKER KÖNIG, Tönisvorst

Der sich seit Jahren verschärfende Steuersenkungswettbewerb zwischen den Nationalstaaten führte nicht zu immer neuem Wirtschaftsaufschwung, sondern zu massiven Finanzierungsproblemen in den öffentlichen Haushalten, auch in den USA. Es ist kein Ende dieser Entwicklung abzusehen. Natürlich ist in diesem Zusammenhang auch das Aufgabenspektrum des öffentlichen Dienstes tabufrei zu hinterfragen. Der Sinn der originellen Differenzierung von Herrn Bollmann in unverzichtbare Aufgaben (z. B. Krankenpflege, Feuer löschen) einerseits und (überflüssige) Verwaltung andererseits vermag sich mir in diesem Zusammenhang jedoch nicht so recht zu erschließen.

Den Ausführungen entnehme ich, dass sich innerhalb der taz die Redakteur/innen selbst um ihre Abonnementsverwaltung, Buchhaltung, Lohnzahlungen, Netzadministration usw. kümmern. Ansonsten scheint mir jedoch die Bereitschaft, in größeren (auch hoch profitablen) Unternehmen auf eine interne Verwaltung zu verzichten, nicht sehr ausgeprägt zu sein. Gerade in der internen Verwaltung des öffentlichen Dienstes wurde in den letzten Jahren überproportional Personal abgebaut, nicht jedoch die Aufgaben. Das hier tätige Personal ist überwiegend dem mittleren und einfachen Dienst zuzuordnen, das heißt, es wird nicht besser bezahlt als z. B. Krankenschwestern. Der von Herrn Bollmann „gefühlte“ Ist-Zustand unseres „Beamtenstaates“ verschleiert das eigentliche Strukturproblem.

Wenn den Volkswirtschaften durch Steuerflucht bzw. Steuersenkungswettstreit weltweit immer mehr Geld entzogen wird, ist auch ein verschlankter öffentlicher Dienst nicht mehr finanzierbar. Das zurzeit vorherrschende wirtschaftspolitische Dogma, allein auf die Selbstheilungs- und Regelungskräfte des (Welt-)Marktes zu vertrauen, führt mittelfristig zu einem stetigen, nie aufhörenden Abbau staatlicher Leistungen und Aufgaben (jedenfalls sofern sie nicht die innere und äußere Sicherheit betreffen). Da viele Bundesbürger/innen noch nicht genügend gefestigt sind im Glauben an die heilenden Kräfte des Marktes, kann die derzeit in den Medien geführte Kampagne gegen den „aufgeblähten, überbezahlten Beamtenapparat“ auch als eine Verschleierungstaktik interpretiert werden.

Geht es hier wirklich nur um die eine oder andere Korrektur von Fehlentwicklungen im öffentlichen Dienst? Oder geht es nicht vielmehr grundsätzlich gegen die staatlich organisierte und institutionalisierte Solidarität der Starken mit den Schwachen?

JOACHIM KONSTANTIN, Tornesch

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