Kafka lebt bei Oldenburg

Niedersachsens Modellversuch „Ausreisezentren“ im Vorgriff auf das gescheiterte Zuwanderungs-gesetz ist gescheitert. In Oldenburg wurden dadurch viermal so viele Flüchtlinge in die Illegalität gedrängt, wie in ihre Heimat zurückkehrten. Kommunen sparen damit Sozialausgaben

Wer seine Herkunft verschweigt, kriegt im Monat keine 40 Euro

Die Wintersonne blitzt durch die lichten Baumkronen auf den zugefrorenen Teich. Dick eingepackte Menschen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa setzen vorsichtig einen Fuß vor den anderen, um auf den glatten Wegen nicht auszurutschen. Friedlich liegen die flachen, langgestreckten Häuser auf dem platten Oldenburger Land und strahlen diese urevangelische Mischung aus frugaler Bescheidenheit, strikten Normen und jeder Menge gutem Willen aus. Das Gelände hat Erfahrung mit gesellschaftlichen Außenseitern: Das ehemalige Kloster Blankenburg diente Jahrzehntelang als psychiatrische Klinik. In den 80er Jahren wurde es zur Aufnahmestelle für Aussiedler, und als deren Strom wieder abschwoll, hatte die Stadt Oldenburg eine schlaue Idee: Man bot dem Land an, hier, neun Kilometer vor den Toren der Stadt, eine so genannte Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZASt) einzurichten. Im Gegenzug wurde die Stadt von der Verpflichtung ausgenommen, weitere Flüchtlinge aufzunehmen.

Eins dieser Häuser ist nicht wie die andern. Nicht, dass man äußerlich einen Unterschied bemerken würde. Aber hierhin kommt niemand aus seinem Heimatland – im Gegenteil: Er soll dorthin zurück. Hier werden Flüchtlinge zwangsweise untergebracht, deren Asylverfahren erfolglos beendet ist, die aber dennoch nicht abgeschoben werden können. Die Behörden werfen ihnen eigenes Verschulden, ja die „Verschleierung“ ihrer Identität vor. „Projekt X“ – der griffige Name, den Kritiker der in Brauschweig und Oldenburg parallel eingeführten Einrichtung verliehen haben, hat sich in der Öffentlichkeit durchgesetzt. Die Behörden hätten lieber das euphemistische Wort „Ausreisezentrum“ etabliert, aber streng genommen soll erst das neue Zuwanderungsgesetz den Ländern die Schaffung solcher Zentren ermöglichen. „Modellprojekt Beschaffung von Heimreisedokumenten für Ausländer mit ungeklärter Identität“ war die offizielle Sprachregelung, aber die Modellphase, in die Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen besonders zackig eingestiegen waren, ist längst zuende. Das Haus aber ist geblieben, in der Warteschleife sozusagen. Zwar ist das Zuwanderungsgesetz inzwischen vorm Bundesverfassungsgericht gescheitert, aber man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass die forcierte Ausweisung abgelehnter Asylbewerber Bedingung für einen Kompromiss mit der Union ist. An diesem Punkt war die rot-grüne Bundesregierung den Konservativen wohl am weitesten entgegen gekommen: Mit der Zwangseinweisung sollte Flüchtlingen die „Hoffnungslosigkeit“ ihres weiteren Aufenthaltes vermittelt werden. Ein Instrumentarium schikanöser Maßnahmen soll sie zur Mitarbeit bei der „Identitätsklärung“ und der Beschaffung von Reisepapieren bewegen: Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf die Kommune, regelmäßige Verhöre, Meldepflichten, Zimmerrazzien, Massenunterbringung, Streichung des Taschengeldes, reduzierte Verpflegung. In Oldenburg sieht die Realität anders aus: Die Unterkunft ist einfach, aber renoviert. Es gibt nur Doppelzimmer, aber zurzeit sind sie alle nur einfach belegt. Theoretisch, jedenfalls, denn in Wirklichkeit wohnt fast keiner der Flüchtlinge in der Einrichtung. Ein einziger öffnet im Bademantel seine Zimmertür, als Anstaltsleiter Markus Kosock nach einem unbewohnten Zimmer fragt, das er der Presse zeigen könnte. Eine Meldepflicht haben sie hier in Blankenburg nicht verhängt. „Wir haben hier eine hohe Schwundquote“, sagt Kosock. „Viele sind nachhaltig nicht aufgetaucht.“ Die werden dann irgendwann abgemeldet. Untergetaucht, wie jeder Dritte, der bislang in die Ausreiseeinrichtung beordert wurde. Für die Landkreise ist die Zwangsunterbringung in Blankenburg attraktiv: Jeder Flüchtling, der dort registriert ist, belastet den kommunalen Sozialhilfe-Etat nicht. Daraus erklärt sich der Eifer der Ausländerbehörden: 220 Anträge auf „Übernahme“ gingen in Oldenburg ein, aber nur 94 Personen erfüllten die Aufnahmekriterien. Dabei wurden die vom Innenministerium mehrfach gelockert: Schützte anfangs eine feste Arbeit vor der Einweisung, wird den Betroffenen heute einfach die Arbeitserlaubnis entzogen; auch Frauen könnten neuerdings theoretisch hingeschickt werden. Die „Erfolge“ der Einrichtung sind bescheiden: In über zwei Jahren reiste ein einziger Insasse „freiwillig“ aus, sieben wurden abgeschoben – also zusammen keine zehn Prozent der Betroffenen. Bei 17 Personen wurde die “Identität geklärt“ – daran, dass sie nicht in ihr Heimatland zurückkehren können hat das offensichtlich nichts geändert. Eine ernüchternde Bilanz. Der Niedersächsische Flüchtlingsrat fordert deshalb die Beendigung von “Projekt X“ - wegen „erwiesener Erfolglosigkeit“. In der Verwaltung wird das offensichtlich ähnlich gesehen: 13 Flüchtlinge durften schon in „ihren“ Landkreis zurückkehren – das ist jeder siebte. Hinter den Kulissen wird über weitere „Rücknahmen“ verhandelt. Auch ZASt-Chef Markus Kosock hat keine großen Illusionen. „Wir haben gegen diese Klientel gar keine Druckmittel“, meint Kosock, „wo nichts ist, kann man auch nichts wegnehmen.“ Natürlich, bei Verdacht auf Straftaten lässt er mal das Gepäck durchsuchen. Und wenn die Ausländerbehörde „mangelnde Mitwirkung“ bei der Identitätsklärung feststellt, wird das ohnehin kümmerliche Taschengeld von 40 Euro im Monat gestrichen. „Das hat wohl jeden hier schon einmal getroffen. Es liegt schließlich im öffentlichen Interesse, dass diese Leute nach Hause gehen.“ Aber die Grenzen sind für ihn klar: „Wenn wir einfach in die Zimmer reinschneien, sind wir wieder im Dritten Reich.“ Kosock hat festgestellt, dass zuviel Druck sofort Gegendruck erzeugt, und das gehe dann zu Lasten des Klimas in der ganzen Einrichtung mit ihren über 400 Bewohnern. „Wir müssen uns arrangieren.“ Dazu gehört für ihn auch, keine „aussichtlosen Fälle“ in der Ausreiseeinrichtung zu behalten. „Für meine Mitarbeiter ist wichtig, dass ihr Tun einen Sinn hat“, sagt der Chef, „sonst sind die in zehn Jahren pensionsreif.“

Jan Kahlcke