ein amerikaner in berlin
: ARNO HOLSCHUH über die geheimen Beziehungen zwischen Indiana und Treptow

Der Trödelmarkt und das internationale Klassenbewusstsein

Als ich aus dem Treptower Trödelmarkt komme, ist meine Tasche voll. Ich habe viel eingekauft, so zum Beispiel mein mittlerweile siebtes Sturmfeuerzeug, das zwar kein Feuer gibt, dafür aber geil aussieht. Dazu einen fragwürdigen Toaster ohne Stecker – aber mit Mr. T auf der Seite. Nutzloses, aber interessantes Zeug eben. Diese mittlerweile wöchentlichen Besuche in Treptow verwandeln die Regale meiner Wohnung in ein Museum für neuere Popkultur minderer Qualität.

Wie es häufig bei mir der Fall ist, mündet der Kaufrausch in einen unglaublichen Appetit. Den kann dann nur eines stillen: nämlich eine heiße, fettige Bratwurst mit scharfem Senf.

Die kleine freundliche Frau am Würstchenstand, sie wird so um die Mitte 40 sein, verkauft echte Thüringer Rostbratwürste an die ausgehungerten Trödler. Als ich Halt vor ihrer Bude mache, ergattere ich die wirklich allerletzte Wurst und gratulierte ihr zu ihrem frühen Feierabend – es ist gerade mal mittags.

„Das wird jede Woche besser“, sage sie mit einem Lächeln. „Wie? Die Würste werden immer besser?“, fragte ich. „Nee, junger Mann. Woche für Woche steigt der Umsatz. Ist schon seit einem Jahr so.“ – „Das kann ich sehr gut verstehen“, antwortete ich. „Dies ist nämlich der beste Trödelmarkt in ganz Berlin.“

Und das ist keine Schmeichelei. Der Ramschmarkt in Treptow ist wirklich der beste. Im Vergleich zu dem Künstler- und Trödelmarkt neben dem Zoologischen Garten zum Beispiel ist der Treptower Krempel billiger und bunter. Wo sonst reihen sich total kaputte 16-mm-Filmprojektoren aus der ehemaligen Tschechoslowakei neben poliertem Zahnarztbesteck aus Litauen? Beim Zoo gibt es zwar gelegentlich Pelzjacken und handgeschnitzten Krimskrams aus dem Schwarzwald. Aber der sieht einfach bleich und bürgerlich aus.

In Treptow jedenfalls wird der Kunde noch Zeuge des Ringens um Feinheiten der Marktwirtschaft. Die Verkäufer können häufig kein Deutsch und schreien in einer Tour „Bitt’ schön“ in die verrauchte Luft der düsteren Markthalle. Auch wenn es dazu überhaupt keinen Anlass gibt und sich keine Kaufwilligen in der Nähe befinden. Diese unlogische, aber immerhin sehr laute Verkaufsstrategie ist angenehm befremdend und verleiht dem Ganzen den Hauch eines morgenländischen Basars.

Aber vor allem in einem sind die Treptower Angebote unschlagbar – sie sind billig. Natürlich nur für den, der handelt. Schließlich aber gehört es doch zu einer gesunden Trödelmarktkultur, dass sich die Verkäufer runterhandeln lassen. Ich finde es zwar albern, wenn die Berliner bei ihrem sonntäglichen Frühschoppen versuchen, die Preise für Dosenbier an der Imbissbude runterzuhandeln – aber irgendwie kann ich es verstehen. Man ist da halt so drin. Schließlich ist der Trödelmarkt die einzige noch verbliebene Konsumbörse, wo die Kunden durch ihr Geschick und ihre Hartnäckigkeit den Preis mitbestimmen können.

Als ich neulich beim Markt am Zoo war, sehe ich auf einmal eine Kamera, die ich unbedingt kaufen möchte. Es ist genau die Kamera, mit der mein Vater uns immer fotografierte. Ich frage den Verkäufer, der leider fehlerlos Deutsch spricht, wie viel sie kostet. „250 Euro“, sagt er.

„Ich könnte“, sage ich, „höchstens 100 dafür ausgeben.“ Und warte auf sein Gegenangebot. Aber der Typ steht einfach da und starrt mich an. Als mir klar wirde, dass er tatsächlich 250 Euro und keinen Cent weniger haben will, ziehe ich weiter.

Nachdem ich der Wurstverkäuferin mein Loblied auf Treptow vorgetragen habe, nickt sie mir zu und meint: „Na, das kommt davon, dass Treptow damals DDR war. Hier verstehen die Leute noch was vom Trödelmarkt“, sagt sie kokett. „Damals hatten wir nicht viel Geld, also mussten wir halt was Billiges zu kaufen haben.“ Ah! Jetzt wird mir klar, warum ich mich hier so zu Hause fühle. Treptow erinnert mich an die Trödelmärkte meiner Jugend, in einem ländlichen Gebiet im US-Bundesstaat Indiana. Da waren die Leute auch meistens arm und haben wohl deswegen einen richtig tollen Trödelmarkt gemacht, damit sie ihren Konsumbedarf günstig decken konnten …

Plötzlich bin ich dermaßen von einem Gefühl der Völkerverständigung zwischen Ossis und Amis überwältigt, dass ich spontan anfange, mit der Wurstfrau die Internationale anzustimmen. Leider wird daraus aber nichts, weil die Internationale aus antikommunistischen Gründen an amerikanischen Highschools gar nicht gelehrt wird. Und so muss ich schon nach „Wacht auf, Verdammte dieser Erde“ aufhören und summend mein Stück dampfendes Schweinewurst betrachten. Egal, tröste ich mich, die erste Strophe ist ja aus Trödelhändler-Sicht ohnehin die wichtigste: Sonntagsmorgens sollen die Verdammten dieser Erde aufstehen – und zum Trödelmarkt gehen.

Der Autor ist 27, arbeitete als Reporter in Kalifornien und lebt zur Zeit als Fulbright-Stipendiat für ein Jahr in Berlin