Geschenke unter dem Hammer

Auch unliebsame Präsente können einen Mehrwert haben. Im Süden Berlins brummen derzeit die Computer auf Hochtouren. Beim Online-Auktionshaus eBay wird in Sonderschichten gearbeitet, um die neue deutsche Krämerseele zu befriedigen

von MATTHIAS BRAUN

In der Krise ändern sich die Sitten. Das war schon immer so und ist auch diesmal nicht anders. Während die politische Klasse derzeit über „harte Einschnitte im Sozialbereich“ redet, wandelt sich die deutsche Wegwerfgesellschaft zu einer Krämergemeinde. Verkaufen statt entsorgen heißt das Mantra der neuen Bewegung. Und ihr Name ist: eBay, das Auktionshaus im Internet.

Tratschen, suchen, handeln heißen die drei Lieblingstätigkeiten deutscher Internetnutzer, glaubt man dem Nielsen-Netrating, einer Art Hitliste der Online-Angebote. Getratscht wird bei T-Online, gesucht bei Google, gehandelt bei www.ebay.de. „Als drittgrößter Onlinedienst wollen wir natürlich irgendwann auf Platz zwei sein“, gibt sich Joachim M. Güntert kampfeslustig. Der Kommunikationschef von eBay ist quasi das amtliche Sprachrohr der Bewegung.

Und die wird gerade jetzt, in der Zeit zwischen Weihnachten und dem Jahreswechsel, um einiges anwachsen. „In dieser Zeit entdecken die meisten die Möglichkeiten von eBay“, sagt Güntert. Ungeliebte Geschenke, die früher in Schubladen verschwanden, können auf der Website online versteigert werden. Das Auktionshaus profitiert damit von einer doppelten Krise. Mit all den Gaben, die als emotionaler Kitt zerfallender Familienbande nicht funktionieren, lässt sich wenigstens Geld verdienen. „Neue Kunden erleben ihre erste Versteigerung sehr emotional“, weiß Güntert. Was das Geschenk nicht hergibt, lässt sich bei seinem Verkauf nachholen. Eine „fruchtbare Kombination“, heißt das bei eBay.

Kickertisch obligatorisch

„Vor allem Luxusartikel sind jetzt günstig zu haben“, berichtet Güntert. Teure Spitzewäsche, Füller, digitale Kameras, DVD-Player und Wein können mit ein bisschen Glück preiswert ersteigert werden. Um die Freuden des nachweihnachtlichen Konsums abzusichern, haben schon an den Feiertagen 70 eBay-Mitarbeiter Sonderschichten geschoben. Außerdem stehen zusätzliche Server bereit, um den Datenstrom zu bewältigen.

Organisiert wird der virtuelle Basar an einem tristen Ort südlich des ehemaligen Grenzübergangs Drei Linden. In einem grauen Büroneubau im unfertigen Gewerbegebiet „Europark“ bearbeiten 250 junge Menschen Kundenanfragen, hundert weitere wickeln Rechnungen ab und denken darüber nach, wie eBay noch besser laufen könnte. Durch ihre Bürofenster sehen sie, wie Autos lautlos auf der nahen A 115 hin und her rasen. Einzelne Plastetüten wehen über den dürren Rasen.

Doch drinnen herrscht Campusatmosphäre. eBay versucht, obwohl es längst zu den großen, etablierten Marken des Internet gehört, den Start-up-Mythos aufrechtzuhalten. Nach dem Crash des Neuen Marktes fühlt man sich als einer der wenigen Überlebenden für die New-Economy-Folklore zuständig. „Sie müssen sich mal morgens an die Autobahnauffahrt stellen“, sagt Güntert, „ die Leute, die die Abfahrt zu eBay nehmen, lächeln.“ Überflüssig zu erwähnen, dass auch ein Kickertisch und der obligatorische Fitnessraum zum Konzept gehören. Die Kantine heißt „Mensa“. Gegessen wird auch gern mal an rustikalen Biertischen. Raucher haben die Wahl zwischen zwei „Terrassen“. Die nördliche heißt „Schwarzwald“, die südliche „Kalifornien“.

Dass eBay heute noch immer auf der wirtschaftlichen Sonnenseite befindet, verdankt es seinem Erfinder, dem Amerikaner Pierre Omidyar. Der veranstaltete am „Tag der Arbeit“ 1995 die erste Internetauktion. Ein Jahr später begann die Idee unter dem Label „eBay“ Karriere zu machen. In Deutschland kopierten die Brüder Samwer das Prinzip. 1999 ging ihre Website Alando.de online. Noch im selben Jahr fusionierte Alando mit den Amerikanern. Inzwischen gibt es eBay-Ableger in den meisten westeuropäischen Ländern.

„eBay hat den Handel demokratisiert“, erklärt Güntert den Erfolg. Jeder kann auf den eBay-Seiten kaufen und verkaufen. Studenten, kleine Geschäftsinhaber, große Unternehmen stellen inzwischen Angebote ein. Ungefähr aller zehn Tage wechselt das Angebot.

Weil die Ware nicht zu Festpreisen angeboten wird und auch Vertriebskartelle keinen Einfluss nehmen können, bestimmt allein die Nachfrage den Preis. „Kein Wunder, dass uns die Markenindustrie misstrauisch beobachtet“, sagt Güntert. Zuletzt scheiterte der Uhrenhersteller Rolex vor Gericht mit der Forderung, eBay müsse verhindern, dass Rolex-Imitate auf den Seiten des Auktionshauses angeboten werden.

Schnäppchen in Italien

Doch dieser Traum jedes redlichen Ökonomen hat auch seine Schattenseite. eBay hat mit seiner aggressiven Expansionsstrategie viele andere Internetmarktplätze verdrängt. „Über kurz oder lang wird eBay ein Monopol auf Internetauktionen haben“, kritisiert Buchautor Hagen Rudolph. Denn natürlich wollen alle dort ihre Ware anbieten, wo die meisten Kunden warten. „Den Wettlauf um Kunden wird das größte oder cleverste Auktionshaus gewinnen, nicht unbedingt das beste“, prophezeit Rudolph. Dies zeige der Sieg von Microsoft über Apple. Aus wirtschaftstheoretischer Sicht sei das „problematisch“.

Um die Theorie muss sich im nachweihnachtlichen Auktionsrausch noch niemand kümmern. Jetzt zählen allein zwei Fragen: Zahlt der Käufer pünktlich? Oder: Liefert der Verkäufer solide Ware? „Um Ärger zu vermeiden, sollten größere Geschäfte über ein eBay-Treuhandkonto abgewickelt werden“, rät Rudolph. Geschäfte zwischen 25 und 200 Euro sind versichert.

So fehlt den Online-Jägern und -Sammlern eigentlich nur noch das passende Schnäppchen. „Wem das deutsche Angebot nicht zusagt, der sollte in Italien oder Großbritannien suchen“, sagt Rudolph. Vor allem auf der Insel sei 50er-Jahre-Mode gerade reichlich zu haben, während in Deutschland zumeist aktuelle Marken gehandelt würden. „In den deutschen Auktionen ist weniger Spirit drin“, urteilt Güntert. Der Satz macht Mut. Er beweist, dass auch im Internetzeitalter wenigstens ein Irrglaube nicht beendet wird. Der, dass es woanders irgendwie besser sein muss, bleibt uns vorerst erhalten.