Das Klima wird rauer

Gewaltdelikte sind 2002 überproportional angestiegen. Polizeichef Glietsch fordert, die Polizei mit dem Problem nicht allein zu lassen, sondern in die Bildung von Migrantenkindern zu investieren

von PLUTONIA PLARRE

Beide nehmen für sich in Anspruch, für die Sicherheit der Bürger zu arbeiten. Aber was die Einschätzung der Lage in der Stadt angeht, sprechen der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Eberhard Schönberg, und Polizeipräsident Dieter Glietsch (SPD) eine gänzlich andere Sprache. Folgt man den Presseerklärungen des Gewerkschaftschefs, die zurzeit wie ein Dauerfeuer in die Redaktionsstuben prasseln, geht es in Berlin zu wie in der Bronx. „Es wird geraubt, erpresst und genötigt, mit Schusswaffen und Messern.“ Die Bilanz, die Polizeipräsident Glietsch zum Jahresabschluss zieht, fällt deutlich nüchterner aus: „Die Kriminalitätsentwicklung ist nicht beunruhigend“, sagte Glietsch gestern zur taz. Im Vergleich zum Vorjahr seien die Straftaten im Jahr 2002 „nur geringfügig gestiegen“. Sorge bereite ihm aber der Anstieg der Raub- und Körperverletzungsdelikte. Vor allem auch, was den überproportionalen Anstieg junger Tatverdächtiger mit Migrationshintergrund angehe. Der sich seit Jahren abzeichnende Trend „hat etwas mit Integrationsproblemen zu tun“, so Glietsch.

Mit 540.000 registrierten Straftaten (Stand Ende November) hat es rund 5.500 Delikte mehr gegeben, als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres. „Dieser Anstieg von rund einem Prozent ist auch nicht nur berlintypisch.“ Von einer dramatischen Zunahme könne keine Rede sein, sagte Glietsch. Was ihn beunruhige, sei die Entwicklung bei den Raubtaten. Bis Ende November wurden rund 4.600 Raubdelikte verzeichnet – ein Anstieg von 12 Prozent. Auffällig sei nicht nur, dass es sich bei den Verdächigen überproportional um junge Männer aus Migrationsfamilien handele. Größtenteils würden die Taten unter Jugendlichen begangenen. Täter und Opfer sind also überwiegend minderjährig. Auch die Beute – nicht selten das Handy – sei im Regelfall gering.

Ein ähnliches Bild ist bei den Gewalttaten zu verzeichnen. Die Körperverletzungsdelikte sind laut Glietsch auf rund 42.000 Taten gestiegen, was einer Zunahme von 6,2 Prozent entspricht. Auch hier handele es sich bei den Tätern oft um Jugendliche mit Migrationshintergrund, sprich nichtdeutscher Herkunft und nicht im Besitz eines deutschen Passes. Die auffällige Häufung vermag sich der Polizeipräsident nur mit fehlender Integration zu erklären: Mangelnde Ausbildung, Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung führten offenbar verstärkt dazu, dass junge Menschen in die Kriminalität abglitten. Dem dürfe nicht tatenlos zugesehen werden, appelliert der Polizeichef an Gesellschaft und Politik. Und zeigte mit dem Finger auch auf die eigenen Behörde: „Die Polizei kann nicht nur auf kurzfristige operative Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung setzen.“ Gefordert sei ein stärkeres Zusammengehen der Polizei mit den Schulen, Sportverbänden und Migrantenorganisationen im Präventionsbereich. An die politisch Verantwortlichen richtet Glietsch die Forderung, mehr in die Bildung und Förderung der jungen Leute zu investieren. So ein Engagement zahle sich aber nicht kurzfristig aus, spielte Glietsch auf die Versäumnisse der Vergangenheit an. Zu der These, Berlin weise das Kriminalitätsbild einer Armutsmetropole auf, mochte sich der Polizeichef nicht vorwagen. „Das müsste im Vergleich zu anderen Metropolen sorgfältig untersucht werden.“

Befriedigt zeigte sich Glietsch darüber, dass die Aufklärungsquote in diesem Jahr um rund 1 Prozent verbessert werden konnte. Im Klartext: Rund 50 Prozent der Täter werden ermittelt. Das sei für eine Metropole ein ausgezeichnetes Ergebnis. Auch im Vergleich zu anderen Großstädten schneide Berlin gut ab.