TROTZ FREIGELASSENER DISSIDENTEN – PEKINGS REGIME BLEIBT INTOLERANT
: Chinesische Friedensdividende

Die chinesische Regierung befindet sich immer noch inmitten der Übergabe. Man weiß also nicht, ob nur die alte Führung ihre schlimmsten Sünden vergessen machen will oder ob die neue Führung bereits eigene Zeichen setzt, wenn Peking jetzt den prominentesten politischen Gefangenen des Landes in die USA ausreisen lässt und zwei bedeutende Streikführer auf freien Fuß setzt. Doch willkommene Signale sind das allemal. Zumal in diesem Jahr bereits eine Reihe Dissidenten, darunter drei bekannte Tibet-Aktivisten, freigelassen wurden.

An der Reihe gütlich geregelter Fälle lässt sich Pekings neu gewichteter Umgang mit Regimegegnern erkennen: Nicht mehr die vom Westen besonders unterstützten Demokratiebefürworter wie der jetzt befreite Xu Wenli stehen zuvorderst im Visier der chinesischen Staatssicherheit. Ihre geringe Zahl hat sich in den letzten Jahren nicht mehr vergrößert. Abgesehen hat es Peking stattdessen auf neue Regimegegner in religiösen Reihen. Dazu zählt man weniger die friedlichen, ebenfalls im Westen beliebten Tibeter. Als Staatsfeinde Nummer eins müssen dagegen nun auch in China Islamisten herhalten. Es sind radikale Uiguren, Anhänger einer unabhängigen Wüstenrepublik im Westen des Landes, gegen die Peking derzeit die harte Keule schwingt: mit Dutzenden von Todesurteilen und hunderten von Folterfällen, die im Westen nur amnesty international publiziert. Wenig besser ergeht es Anhängern der buddhistisch-fundamentalistischen Falun-Gong-Sekte, die man systematisch in Arbeitslager verschleppt und foltert. Doch wie die uigurischen Islamkämpfer genießen auch Falun-Gong-Anhänger wenig Sympathie im Westen. Völlig zu Recht übrigens, denn beide Gruppen gehören autoritären Denkschulen an.

So aber scheint es Peking zu gelingen, dem Westen zu gefallen, ohne den intoleranten Charakter seines Regimes zu verändern. Menschenrechtsorganisationen wie amnesty verzweifeln deshalb an der immer leiser werdenen Kritik an China. Doch noch ist offen, was das Land in dieser Phase lernt: Wenn den Pekinger Kommunisten tibetische Mönche weniger gefährlich erscheinen als islamische Freiheitskämpfer und eine demokratische Partei wie jene Xu Wenlis weniger gefährlich als eine Sekte wie Falun Gong, dann haben sie offensichtlich die Angst verloren, dass der Westen ihr Regime stürzen will. Das ist in Zeiten, da die USA im Irak und Nordkorea den Regierungswechsel offen betreiben, nicht selbstverständlich. Hier aber könnte eine wichtige Friedensdividende des Antiterrorkrieges liegen – und letztlich auch eine Liberalisierungschance für China. GEORG BLUME