im mütterverwesungsheim von HARTMUT EL KURDI
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Manchmal wird man Ohrenzeuge von Sätzen, die so sehr Klischee sind, dass man nicht glauben mag, ein echter Mensch könne sie wirklich aussprechen. Man vernimmt einen dieser abgerubbelten Allgemeinplätze und denkt, man habe einen spontanen Hörsturz erlitten. Oder sei Opfer eines Cannabis-Flashbacks mit integrierter Akustik-Halluzination. Aber leider ist man kerngesund, und die berühmt-berüchtigten Flashbacks sind bekanntermaßen nur ein Mythos. Leider hat man in solchen Momenten einfach nur ein schreckliches Rendezvous mit der Realität. Zum Beispiel auf einem Abiturjahrgangstreffen.

Ich hatte mir gerade einen angenehm leichten Dusel angesippt und plauderte mit einem netten Menschen, der vor siebzehn Jahren freundlicherweise mal mittelschweres Petting mit mir praktiziert hatte, da passierte es. Zwei Mitabiturientinnen stellten sich dazu und begannen mit der auf solchen Veranstaltung üblichen Dreisatz-Inquisition: Was machste? Wo wohnste? Wie viel Kinder? Einen kurzen Moment lang hatte ich das Bedürfnis, nervös mit dem Auge zu zucken, ein bisschen zu sabbern und stotternd zu behaupten, ich hätte extra für diesen Abend Freigang erhalten, käme jedoch wahrscheinlich nächste Weihnachten ganz raus. Aber dann blieb ich doch bei der Wahrheit.

Da ich mich spät, aber ordnungsgemäß fortgepflanzt hatte und ansonsten mit meinem freien Autorendasein in die Abteilung „Interessant, aber was soll man dazu sagen?“ fiel, wandten die beiden Penetranzen sich meiner Gesprächspartnerin zu, die bewundernswert kalt und knapp antwortete: „Werbeagentur, Karlsruhe, und Kinder sind nicht so mein Ding.“ Auf so was hatten sie nur gewartet. Nach einer kurzen, vielleicht auch nur gespielten Schrecksekunde erhob das reaktionäre Klischee-Ungeheuer sein Haupt: „Also, das kann ich nicht verstehen, erst seit ich Kinder habe, fühle ich mich richtig als Frau!“ Wir starrten uns an. War dieser Satz eben wirklich gefallen? Da legte die andere schon nach: „Ich hab mich ja nach meinem Examen ganz bewusst dafür entschieden, zu Hause bei den Kindern zu bleiben.“ Klar, dachte ich, und dein Wirtschaftsjuristen-Gemahl hat wahrscheinlich gesagt: „Okay, Honey, du kannst es dir aussuchen, wenn du nicht willst, dann bleib ich eben zu Hause und versorg die Gören!“

Aber wie gesagt, das dachte ich nur, zum Sprechen kam ich gar nicht, denn die beiden Mutterkreuzler quakelten unverdrossen weiter. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Die beiden gehörten keiner Sekte an, trugen keine Kittelschürze, waren Akademikerinnen, wählten in Proseccolaune vielleicht sogar mal ganz kess SPD. Aber leider waren ihre Gehirne in irgendeiner Nacht-und-Nebel-Aktion gegen Gebärmütter ausgetauscht worden. Als der Satz des Abends fiel, gingen meine ehemalige Pettingpartnerin und ich einfach wortlos zur Theke, um uns schnell und endgültig zu betrinken. Der Satz lautete: „Man verwendet auch viel Zeit drauf, so ’n richtiges Nest zu bauen, die Männer bemühen sich ja, aber richtig helfen können sie dabei nicht. Ach, Mutti …