Gnadenlos verzockt

Für Ronald Schill ist die Politik ein großes Spiel. Seine Masche ist so simpel wie wirksam: Provokation

Der Mann kann sich inzwischen alles erlauben. Hätte ein in Verantwortung stehender Minister anderswo für die eigene Polizei den Einsatz des russischen Kampfgases gefordert, das in Moskau mehr als hundert Menschenleben kostete – er hätte längst seinen Hut nehmen müssen. Die Empörung wäre zu groß gewesen. Bei Ronald Schill regt sich die Opposition ein paar Tage auf, dann geht alles zur Tagesordnung über. Mit einem Achselzucken und einem: „So ist er halt, der Schill“ wird die Angelegenheit ad acta gelegt – bis zur nächsten Provokation.

Für Ronald Schill ist die Politik und das Innensenator-Sein ein großes Spiel, und im abgelaufenen Jahr hat er es ausgekostet. Der Mann hat durch den überragenden Wahlsieg im September 2001 seine Rache am sozialdemokratischen Apparat der Hansestadt gehabt. Was danach kommt, ist Spaß an der Macht, Spaß daran, die etablierte Politik vor den Kopf zu stoßen. Dabei kennt er kein Maß, keine Grenze. Die Koks-Affäre und die Bürgersprechstunden bei der Wollenberg-Schickeria im Frühjahr, der kuriose Bundestagswahlkampf mit der hetzerischen Bundestagsrede im Sommerloch, das Lauschgesetz im Herbst, Bambule im Winter – Schill hält die Stadt in Atem.

Er ist der Hampelmann des Senats, die Schlagzeilenmaschine für die Medien: Als er in der heißen Phase der Debatte ums Verfassungsschutzgesetz lieber mit dem alternen Stardesigner Luigi Colani wegen der blauen Polizeiuniformen posierte, hieß es unter den JournalistInnen nur augenrollend: „Stell dir vor, der langweilige Wrocklage säße jetzt stattdessen da.“ Das wäre der Medien-GAU.

Dass Schill dabei Menschen Heimat, Obdach und Lebensglück nimmt, wenn er Bauwagen räumt, Abschiebequoten übererfüllt oder Polizisten auf Brechmitteleinsatz schickt – das geht im Medienhalali um den Polit-Gambler fast unter. Ronald Schill spielt ein gefährliches Spiel, er ist der Möllemann der Hamburger Politik, und er kann sein Spiel so lange treiben, wie er es will. Denn er hat 19,4 Prozent im Rücken und einen Bürgermeister über sich, der diese Prozente unbedingt braucht, um an der Macht und gleichzeitig selbst aus der Schusslinie zu bleiben. Und dass die Schill-Schafherde in der Bürgerschaft auch ohne ihren Leithammel weiter die Regierungspolitik widerkäut, ist zwar nicht mehr unvorstellbar. Der Tag ist aber immer noch weit entfernt.

Dass ein Großteil seiner Wähler ihm inzwischen schon wieder den Rücken gekehrt hat, ist Schill relativ egal. Bis zur nächsten Wahl ist es noch lange hin, und mal sehen, was danach kommt. Der Zocker Ronald Schill hat bisher leichtes Spiel. PETER AHRENS