Brandenburger Allerlei

Kulinarische Wüste ist Brandenburg nur bedingt. Neue Produkte und alte Herstellverfahren beleben die märkischen Esskultur. Eine Reise zu Sanddorn, Senf und Shiitake-Kulturen

von CHRISTINE BERGER

Wären die heiligen drei Könige einst vom märkischen Feld zur Krippe nach – sagen wir mal – Wassersuppe bei Rathenow gezogen, dann hätten sie vielleicht dem Neugeborenen etwas anderes mitgebracht. Nicht Gold, Weihrauch und Myrrhe, sondern Sanddorn, Senf und Shiitake-Pilze. Oder Spreewaldgurken, Rosmarinhonig und eine Flasche Müller-Thurgau vom Werderaner Wachtelberg. Feine Lebensmittel, die – um mal ein gängiges Klischee zu bedienen – aus der kulinarischen Wüste Brandenburg stammen. Tatsächlich wäre den Eltern des kleinen Jesulein heute in den meisten märkischen Gasthöfen nicht viel mehr als ein Mikrowellengericht angeboten worden. Doch wer sich auskennt, findet Delikatessen, die auch die heilige Familie entzückt hätten, in jeder Himmelsrichtung.

Sanddorn

Zum Beispiel in Petzow, südlich von Potsdam. Dort wirkt auf dem Gelände der alten Tomatenplantage unter anderem der Sanddorngeist. Ein feiner Likör, nicht ganz billig, aber fruchtig und längst nicht so sauer wie die Ursprungsbeere. Die wächst zwischen Werder und Petzow mittlerweile wieder auf 25 Hektar und wird zu 50 verschiedenen Produkten verarbeitet. Reich an Vitamin C (450 mg pro 100 g Frucht!), Vitamin K und Vitamin A geht das Gewächs schon fast als Präventivmedizin durch. Nach dem Motto: Sauer macht lustig.

Christine Berger, die Besitzerin der Sanddornplantage, kann sich über mangelnden Absatz nicht beklagen. In ihrer schicken Hofboutique schieben sich besonders an den Wochenenden Dutzende von Kunden an Säften, Kosmetik, Marmelade und besagtem Likör vorbei. Alles aus Sanddorn. 780.000 Euro hat Berger in den Aufbau ihrer Produktion gesteckt. Jetzt sollen es noch mal so viel werden, denn die studierte Betriebswirtin plant im kommenden Jahr einen Fruchterlebnisgarten in den alten Petzower Treibhäusern einzurichten. „Da kann man dann zusehen, wie Gemüse und Blumen wachsen“, so ihre Intention. Welcher Städter hat dazu schon mal die Gelegenheit?

Dass Fruchterlebnis-Produkte sich nebenbei gut verkaufen lassen, daran hat die geschäftstüchtige Mutter dreier Kinder natürlich auch schon gedacht. Doch bis es so weit ist, konzentriert sie sich auf den Sanddorn, und der findet mittlerweile auch über das Internet Liebhaber in aller Welt.

Honig

Im nördlichen Brandenburg dürften Bären ihre Freude haben, wenn es sie denn noch gäbe. In Chorin steht nicht nur die berühmte Klosterruine, in der sommers eifrig musiziert wird, sondern auch Deutschland einziges Honigspezialitäten-Restaurant.

In der „Immenstube“ locken Zimtnudeln mit Pflaumen in Honigwein, mit Honig glasierte Barbarie-Entenbrust oder Schweinemedaillons mit Orangen-Honig-Soße. Dazu wird Metbräu gereicht, ein Honigbier. Oder wie wäre es mit einem Kosakenkaffee? Das ist eine Tasse Kaffee, 2 cl Wodka und – uff.

Wer nach einem Besuch in der Stube dem Elixier noch wohlgesonnen ist, kann in die Regale langen und Honigprodukte hamstern. Da gibt es unter anderem Buchweizen-, Salbei- und Ingwerhonig, aber auch Honig-Eierlikör, Kerzen und Kosmetik. Und sogar Senf und Matjes kommen an dem Bienendrink nicht vorbei.

Senf

Womit wir schon beim nächsten Highlight wären: dem Senf. Der kommt zur Abwechslung mal nicht im Plastikbecher aus Thüringen auf den Tisch, sondern im Glas aus Nieder-Finow. Dort ist Rainer Zimmermann zu Hause. Nach der Wende ohne berufliche Perspektive, dachte sich der studierte Philosoph was Neues aus, was gewissermaßen typisch ist für seine Branche. So kam Zimmermann auf den Senf. Erst in Kleinproduktion, dann, wegen der Nachfrage, in immer größeren Mengen. Heute verkauft der Mann bis zu 11.000 Gläser im Monat. Zwölf verschiedene Sorten sind im Angebot. Darunter solcher mit Petzower Sanddorn und Honig, den es wiederum auch in Chorin zu kaufen gibt.

Für den Preußensenf verwendet Zimmermann Wildkräuter, unter anderem sogar Giersch, der jeden Hobbygärtner als üppig wucherndes Unkraut zur Weißglut treibt. Nur Zimmermann nicht, der macht das Beste daraus. Und empfiehlt sogar Senf in den Schokoladenkuchenteig zu rühren. „Das verstärkt den Geschmack“, behauptet der Experte. Dass ein Apfelkuchen mit Senf eine exotische Note bekommt, wagen wir lieber nicht zu bezweifeln. Sonst müssten wir das wohlmöglich noch probieren. Übrigens hat Zimmermann neulich der „Immenstube“ angeboten, Honignudeln zu produzieren. So schließen sich die Kreise der kulinarischen Missionare.

Shiitake

Exotischer wird es im Dörfchen Krummensee, östlich der Berliner Stadtgrenze. Von dort stammen Shiitake, Pilze, die seit fünf Jahren viele Berliner Feinschmecker-Restaurants verarbeiten. Ursprünglich stammt der Pilz aus China, wo er schon vor 2.000 Jahren als Lebenselixier galt, der die Widerstandskraft gegen Krankheiten erhöht. Chinesische Bauern brachten ihre Erfahrungen vom Shiitake-Anbau im 16. Jahrhundert nach Japan, und von dort gelangten seine Ableger wiederum auch nach Krummensee.

Im Gegensatz zu den asiatischen Vorfahren warten Pilzzüchter Ronald Schulz und seine Mitarbeiter nicht mehr darauf, dass der Wind die Pilzsporen verbreitet und auf Gehölz wachsen lässt. Pilzgeflechte, so genannte Mycel, werden im Labor angezüchtet und danach abgestorbenem Laufholz aus der Region eingeimpft. Das klingt komplizierter als es ist, und immerhin wirft die Pilzzucht, die als Ökobetrieb eingetragen ist, eine Tonne Pilze pro Monat ab. Neben dem reinen Take (jap. Pilz) hat Schulz auch Shiitake-Tee im Angebot und den „Krummenseer Ritterling“, einen Pilzschnaps. „Wir könnten mehr verkaufen, aber die Produktion ist begrenzt“, seufzt er und wehrt sich fast gegen die Berichterstattung. Aus Angst, die Leser könnten ihm hinterher die Bude einrennen und vor leeren Regalen stehen.

Gurken

Natürlich darf das bekannteste Produkt bei einer Reise zum Brandenburger Allerlei nicht fehlen, zumal die Spreewaldgurke eine interessante Biografie vorzuweisen hat. Ursprünglich stammt das Gemüse aus der Familie der Kürbisgewächse nämlich aus Afrika, von dort brachten es die alten Griechen nach Europa. Mit der slawischen Besiedlung kam die Gurke schließlich im 7. Jahrhundert in den Spreewald.

Wer wissen will, wie es dazu kam, dass heute rund 33.000 Tonnen Gurken jährlich geerntet werden, der besuche einmal das Gurkenmuseum in Lehde. Dort können Besucher auch testen wie echte „Spreewälder“ schmecken. Fässer mit Senf-, Gewürz- und Knoblauchgurken stehen bereit.

Adressen: Sanddorn, Christine Berger GmbH & Co. KG, Fercher Str. 60, 14542 Werder, Ortsteil Petzow, Tel. (0 33 27) 46 91-0, www.sandokan.de „Immenstube“ im Hotel Chorin, 16230 Chorin, Neue Klosterallee 10, Tel. (03 33 66) 5 00, www.chorin.de Zimmermanns Senf, Hebewerkstr. 81, 16248 Niederfinow, Tel. (03 33 62) 7 07 13, www.niederfinower-senf.dePilzhof Krummensee, Dorfstr. 16, 16356 Krummensee, Tel. (03 34 38) 6 72 77, www.pilzhof.deGurkenmuseum Lehde, Hotelanlage Starick, An der Dolzke 4–6, 03222 Lübbenau, OT Lehde, Tel. (0 35 42) 8 99 90, April bis Oktober täglich 10 bis 17 Uhr, im Winter nach telefonischer Vereinbarung, Eintritt 2 Euro pro Person