Bad hair days in New York

Zu Gast auf einer Party mit dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, dem mittlerweile ganz und gar haarlosen Exbürgermeister Rudolph Giuliani

Giuliani signiert sein Buch, seine Glatze leuchtet in einem Meer bunter Haarteile

Im Amerikanischen hat ein weiser Mensch den passenden Ausdruck für den ganz besonderen Gemütszustand gefunden, dem Frauen unterliegen, wenn morgens die Frisur nicht sitzt. Der Tag ist versaut, eigentlich am besten, man ginge gleich wieder ins Bett. Da dies in den meisten Fällen nicht möglich ist, kann man den ganzen Tag als „bad hair day“ abhaken. Darauf darf man dann so ziemlich jedes mögliche Missgeschick zurückführen.

In dem Apartmenthaus, in dem ich seit sieben Jahren lebe, wohnt auch Miss H., eine berühmte, inzwischen recht betagte Schauspielerin. Und wie berühmte, betagte Schauspielerinnen so sind, hat sie eine ganz unvergleichliche Art, einem noch nach sieben Jahren mit erstaunt hochgezogenen Augenbrauen im Fahrstuhl zu begegnen: „Ach, Dear, Sie wohnen auch hier?“ Und das, obwohl ich ihr vor ein paar Jahren großzügig die Mitfahrt in meinem unter schwerem Einsatz ergatterten Taxi anbot („Ach, Dear, Sie fahren nicht zufällig zur East Side? Ich muss unbedingt zu einer Probe.“ – „Nein, aber Sie können gern ein Stück mitfahren.“ – „Wunderbar!“). Worauf sie dem Fahrer die Richtung diktierte, dass es einem General alle Ehre gemacht hätte. Wir kamen irgendwo am völlig falschen Ende Manhattans an, der Fahrer und ich gleichermaßen erschöpft. Meine Verabredung wartete seit einer Stunde und war sauer. Macht nichts, es war ja für die Kunst.

Vor ein paar Tagen beugte sich mir Frank, unser Doorman, mit folgender kryptischer Botschaft beschwörend entgegen: „Sie sind morgen Nachmittag zwischen 16.15 Uhr und 17 Uhr bei Miss H. eingeladen. Sie dehnt ihre Veranstaltung auf alle Bewohner des Hauses aus. Mister Giuliani kommt auch. Und ein berühmter Tenor. Wenn Sie teilnehmen möchten, muss ich Ihren Namen angeben. Sicherheitsüberprüfung.“ Ich dachte, dass die Kombination von Exbürgermeister Rudolph Giuliani mit einem Tenor doch vielversprechend klang und geradezu nach einer Sicherheitsüberprüfung schrie. Ich habe Giulianis Amtszeit noch lebhaft in Erinnerung, die NYPD, die New Yorker Polizei, schoss wild um sich und fällte dabei reihenweise Mitglieder der schwarzen Gemeinde oder schob einem verhafteten haitianischen Immigranten mal eben einen Holzknüppel in den Darm, bis auch seine umliegenden Organe perforiert waren.

Am nächsten Nachmittag empfängt mich die Wohnung der berühmten, betagten Schauspielerin in den Farben pastellrosa und himmelblau. Auf einem Tisch neben dem Eingang stapeln sich Bücher mit dem Konterfei des sorgfältig gekämmten Giuliani und dem Titel „Leadership“. Leichte Beunruhigung ergreift mich, ich könnte unverhofft in einen „Fundraiser“ geraten sein, eine beliebte New Yorker Beschäftigung, Menschen Geld für die Kampagnen zweifelhafter Politiker aus der Nase zu ziehen.

Auf der Suche nach einer Person, die mir die Sache mit Giuliani, dem Tenor und so weiter etwas genauer erklären kann, schiebe ich mich, mit einem ordentlichen Drink bewaffnet, in eine Ecke des Wohnzimmers, um von dort aus das Geschehen zu verfolgen. Vor der pastellrosa Wand sitzt auf einem pastellblauen Sofa die Gastgeberin und hält Hof. Normalerweise befindet sie sich in Gesellschaft ihres mindestens vierzig Jahre jüngeren Freundes, der aber ist im Getümmel verschwunden. Dafür wird sie flankiert von einer wachsstillen, ebenso betagten Dame mit Hut und einem rotgesichtigen älteren Herrn mit verdächtig kastanienbrauner Haarpracht. Im Sessel daneben ein weißhaariger Mann, der in stetem Wechsel Honneurs entgegennimmt. Auf dem Schoß des weißhaarigen Herrn sitzt ein kleiner Terrier und hechelt.

Nachdem ich erfolgreich Gesprächsbrocken umstehender Gäste aufgeschnappt habe, bin ich im Besitz folgender Informationen: Der Tenor hat Geburtstag. Miss H. schmeißt diese Party, ihm zu Ehren. Mr. Giuliani ist ein großer Fan des Tenors. Der Tenor wird einundachtzig und ist gar kein berühmter Tenor, sondern ein berühmter Bariton und heißt Jerome Hines. Jerome Hines ist der Mann mit dem schönen weißen Haar im Sessel. Giuliani ist der Mann, dessen wenige quergekämmmte Haarsträhnen sich noch vor nicht allzu langer Zeit in unverhofft auftretenden Windböen schwungvoll senkrecht stellten. Damals hatte er noch „bad hair days“. Giuliani, der jetzt den Raum betritt, hat sich ganz eindeutig von „bad hair days“ zu „no hair days“ weiterentwickelt. Dort, wo sich bis vor kurzem ein paar dünne Fäden barmherzig über Giulianis Glatze legten, gähnt jetzt Leere. Ein Imagewechsel, schießt es mir durch den Kopf. Damit er später sagen kann: Ich hab euch nie was vorgemacht. Read my hair. Der Mann will Präsident werden.

Während ich schnell die zu erwartende Zeitspanne republikanischer Herrschaft hochrechne (noch zwei Jahre Bush, dann seine Wiederwahl, macht zusammen sechs, danach vier Jahre Giuliani macht zehn, eventuell Wiederwahl – mir wird schwindlig), begrüßt der Opernfan das Geburtstagskind. Der Terrier knurrt. Der rotgesichtige Mann mit dem kastanienbraunen Toupet springt vom Sofa auf, Giuliani und seine neue Glatze nehmen den frei gewordenen Platz neben der berühmten, betagten Schauspielerin ein. Der Toupetträger entpuppt sich als wirklicher Tenor, der jetzt mit ausgebreiteten Armen und in Begleitung eines ebenfalls toupettragenden Akkordeonisten einen schmetternden Vortrag zu Ehren des Exbürgermeisters beginnt. Das Geburtstagkind trägt die Verwechslung der Prioritäten mit Fassung und lauscht selbst gezimmerten Zeilen zur Melodie von „My Way“, die mit den schönen Worten enden: „we couldn’t wish for any o-o-ooother, you are our bro-o-o-o-o-ooothe-e-e-eeerr!“ Uff.

Die Anwesenden brechen in frenetischen Applaus aus. Giuliani springt gerührt vom Sofa und umarmt den Sänger, dessen Gesicht nach dieser Anstrengung so rot ist, dass es sich mit dem Kastanienrot seines Toupets beißt und man um seine Gesundheit fürchten muss. Er wird jetzt von allen Seiten betätschelt, mehr Männer mit ungewöhnlich dichtem Haupthaar in fröhlichen Herbstfarben drängen aus der Tiefe des Raumes heran und gratulieren ihm. Es folgen weitere Ständchen mittelmäßig begabter, blonder Sopranistinnen, anschließend gibt es eine Autogrammstunde, nicht etwa mit dem vernachlässigten Jerome Hines, sondern selbstverständlich mit dem echten „Hero“, unserem „Bro-ooother“. Damen mit tiefen Dekolletees kuscheln sich an ihren Rudi, Blitzlichter flackern, einer Geburtstagstorte wird applaudiert.

Giuliani signiert sein Buch „Leadership“, seine Glatze leuchtet in einem Meer bunter Haarteile, könnte der Mann zum ersten Mal einen Trend verpasst haben? Oder ist er der Zeit voraus? Er lächelt sein Nussknackerlächeln und sieht ganz so aus, als stürme er, befreit vom Ballast schütteren Haars, von Prostatakrebs, einer streitsüchtigen Ehefrau und den Hemmnissen des New Yorker Politalltags zum endgültigen „Leadership“-Posten. Zu den Klängen von „Happy Birthday to You!“ verdrücke ich mich langsam Richtung eigene Wohnung. Im Fahrstuhl bestätigt ein Blick in den Spiegel: unbedingt Friseurtermin machen.

Nicht viel später erfährt die Öffentlichkeit die Nachricht von Giulianis Verlobung mit seiner „sehr guten Freundin“ Judith Nathan. Nicht nur ist die Dame praktischerweise im Hauptberuf Krankenschwester, sondern hatte bereits reichlich Gelegenheit bei allerhand Paraden und Auftritten die „First Lady“ zu üben. Die Aufrüstung hat begonnen.

PIA FRANKENBERG