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stefan kuzmany über AlltagDies widerliche Gansgefühl

Noch schlimmer als der Weihnachtsbraten ist, in der Heimat alte Freunde zu treffen

Kurz nach der Gans klingelte das Telefon: Josef. Er sei nur noch heute hier, morgen Abend müsse er unbedingt wieder an seiner Arbeit sitzen. Einzige Chance ihn zu treffen: jetzt. Er habe allerdings gerade überraschend Besuch von Wässerlein und dessen Freundin bekommen. Das könne man doch miteinander verbinden, habe Wässerlein gesagt. Wässerlein? Wer war noch mal Wässerlein?

„Was ist jetzt?“, fragte Josef ungeduldig. Eigentlich hatte ich mir ja schon vor Jahren vorgenommen, auf seinen Kommandoton nicht mehr zu reagieren. Aber sehen wollte ich ihn doch, denn wir sahen uns nur noch selten. Dazu kam, dass die Gans sehr groß und sehr fett gewesen war. Ihr Verzehr hatte mich ermattet und wehrlos gemacht. Ich willigte ein.

„Gut“, sagte Josef. „Folgendes Problem: Wässerlein und seine Freundin müssen heute noch nach Berbach. Wir müssen uns also auf dem Weg dorthin treffen.“ Berbach? Wo war noch mal Berbach? „Gut“, sagte ich. „Gut, ich gebe dir Wässerlein.“ – „Gut.“

Gleich sollte es Kaffee geben. Oder noch besser: Espresso. Von mir aus auch einen Schnaps. Ja, einen Grappa. Ein doppelter Grappa sollte gegen die fette Gans im Magen antreten. Sofort. Oder ein kleiner Spaziergang. Ein kleiner Spaziergang würde jetzt auch helfen. Oder gleich hinlegen. Wässerlein kam an den Apparat.

„Du kennst doch Odelzburg?“, fragte Wässerlein. Wässerleins Stimme kam mir nicht bekannt vor. „Vom Namen her“, sagte ich. „Auf der Stuttgarter Autobahn die zweite Ausfahrt. Nach Odelzburg hinein und dann links ins Gewerbegebiet und wieder links, da ist das dann. Da sitzen mir dann.“ – „Ja.“, sagte ich. „Und wie heißt das Lokal?“ – „Fidelibus.“

Draußen war es feucht und kalt. Die ganze Gegend lag in dichtem Nebel. Der Bayerische Rundfunk meldete Blitzeis. Auf der Landstraße waren kaum andere Wagen unterwegs. Fenster auf. Tief einatmen: Landluft. Das Gansgefühl verging langsam. Nach einer halben Stunde Fahrt erreichte ich Odelzburg. Das Schild zum Gewerbegebiet übersah ich im Nebel zunächst.

Das „Fidelibus“ befand sich in der oberen Etage – in der unteren war das „Eh? klar“ – und war ein „Billard-Bistro“. An den Tischen spielten Minderjährige. An der Bar saßen zwei feiste Männer mit Schnurrbärten, die entweder pädophil oder Polizisten oder beides waren. Josef war nicht da. Von Wässerlein und seiner Freundin war ich mir nicht sicher, ob ich sie erkennen würde.

Unten am Zigarettenautomaten stand ein Mann, der aussah wie Rudi Völler mit etwas weniger Haaren und jünger. Er sagte: „Da bist du ja.“ Es war offenbar Wässerlein. Er, seine Freundin und Josef saßen im „Eh? klar“, das sich als „Dart-Bistro“ entpuppte. In der Ecke mit den Münzspielgeräten lungerten die einzigen anderen Gäste herum: Männer mit Schnauzbärten. Aus der Stereoanlage spielte es „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“. Die Tische waren weihnachtlich geschmückt. Ich bestellte einen Kaffee.

Die anderen tranken Cocktails, offenbar jeder schon den zweiten, denn Wässerlein hatte die Dekoration der ersten Runde schon in der Hand: Holzstäbchen mit funkelnden Staniolpuscheln in Rot, Blau und Grün. Wässerlein spielte mit den Puscheln. Er erzählte davon, wie er ins Ukulelengeschäft einsteigen wolle. „Die ganzen Musikfachgeschäfte müssen doch Ukulelen führen. Aber keiner bekommt sie zu so einem billigen Preis wie ich. Weil ich gleich hundert Ukulelen einkaufe. Das eine sage ich dir: So einen Preis bekommt sonst niemand. Und das Risiko ist minimal.“ „Arbeite du erst mal richtig, du Depp!“, fuhr ihm seine Freundin sehr rüde und laut über den Mund. Da war es wieder, das Gansgefühl.

Wässerlein war gelegentlich Bodenverleger, Wässerleins Freundin Friseuse. Sie stritten den ganzen Abend. Josef und ich kamen kaum zu Wort, geschweige denn ins Gespräch. Wir gingen früh, verabschiedeten uns von dem Pärchen am Parkplatz des „Fidelibus“. Wässerlein und seine Freundin fuhren weiter nach Berbach. Wir brauchten einige Zeit, um aus dem Gewerbegebiet wieder auf die Hauptstraße zu finden.

Auf der Landstraße meinte Josef: „Komischer Typ, dieser Wässerlein. Ich hatte ja nie viel mit ihm zu tun.“ – „Ich auch nicht“, sagte ich. Schweigend fuhren wir durch den Nebel. „Wenn die jetzt Blitzeis melden“, sagte Josef, „meinen die dann das, was früher überfrierende Nässe war?“

Fragen zu Alltag?kolumne@taz.de

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