Der Krieg der Paten

Elfenbeinküste ist das jüngste Kapitel im Machtkampf zwischen den Warlord-Politikern Westafrikas. Solange sie das letzte Wort nicht gesprochen haben, gibt es keinen Frieden

Hinter den Kulissen der Macht bewegen sich nur einige wenige Einzelpersonen wirklich

Als Désirée Delafosse in die Elfenbeinküste floh, hatte sie an den Präsidenten des Landes eine dringende Bitte. Er solle unbedingt in ihrer Heimat Liberia dafür sorgen, dass ihr Mann Adolphus Tolbert am Leben bleibt. Der war im Rahmen eines Militärputsches festgenommen worden. Ihr ivorischer Gastgeber und Stiefvater Félix Houphouët-Boigny versprach, sich zu kümmern. Vergeblich: Die jungen Putschisten richteten Tolbert zusammen mit seinem Vater, dem Präsidenten von Liberia, und anderen Größen des gestürzten Regimes hin. Das Massaker am Atlantikstrand brachte einen bis dahin friedlichen Teil Westafrikas weltweit in die Schlagzeilen.

Das alles ist 22 Jahre her, und die wichtigsten Protagonisten der Geschichte sind tot. Aber die durch diesen Vertrauensbruch des liberianischen Präsidenten Samuel Doe in Gang gesetzte Dynamik ist heute lebendiger denn je – und sie droht nach Liberia, Sierra Leone und zum Teil Guinea nun auch die Elfenbeinküste in den Abgrund zu stürzen. Wenn das vollendet wird, versinkt ganz Westafrika im Chaos und Krieg. So wird aus persönlichen Rankünen eine internationale Krise.

Denn der ivorische Krieg, wie der liberianische und sierra-leonische vor ihm, ist kein unabwendbares Resultat sozialer Prozesse. Es rennt keine aufgeputschte Bevölkerung auf der Suche nach Warlords durch den Busch. Umgekehrt – Warlords suchen eine Anhängerschaft, um ihren Machtkampf zu Ende zu führen, selbst um den Preis der Zerstörung ihrer Nation.

Als die Elfenbeinküste vor vier Jahren ins politische Chaos abzugleiten drohte, putschte sich der General Robert Guei an die Macht und proklamierte die Wiederkehr des „Houphouetismus“, einer eher inhaltsleeren Ideologie, die den Konsens zum höchsten Wert der Politik erklärt. Doch Guei besaß die dafür nötige Weisheit nicht. Er verwechselte Konsens mit Gefolgschaft und verlor im Oktober 2000 die von ihm selbst angesetzten Wahlen gegen den Sozialistenführer Laurent Gbagbo.

Hoffnungsträger Gbagbo erwies sich in den Augen seiner einstigen Gönner und Freunde schnell als Verräter. Statt das Land geeint auf die Spur der sozialen Erneuerung zu stellen, trieb er die Spaltung der Elfenbeinküste zwischen „richtigen“ und „falschen“ Ivorern weiter auf die Spitze. Die „richtigen“ Ivorer, also Nachkommen der alteingessenen Völker des Landes, sollten privilegierte Nutznießer der gewünschten Sozialreformen sein, während die anderen, Nachkommen von Migranten aus benachbarten Territorien zu Zeiten des Kolonialismus, ausgeschlossen werden sollen.

Gbagbo predigte geschlossene Grenzen und Sozialismus in einer Nation, während Houphouët die Überwindung der Nationalstaatlichkeit Westafrikas verfolgt hatte. Er verfolgte auch die Ethnien „zweifelhafter Nationalität“ aus dem Norden des Landes, die Burkina Faso nahe stehen, samt ihren Militärs; er vergrätzte viele seiner früheren Mitstreiter, die an Demokratie und Überwindung ethnischer Differenzen geglaubt hatten und Gbagbo als Verräter an den Idealen der Revolution heftig bekämpften.

Es war nur eine Frage der Zeit, bevor sich die Allianz dieser Enttäuschten im September 2002 in eine bewaffnete Rebellion verwandelte, die seitdem beständig Zulauf findet: von Getreuen des mittlerweile ermordeten Guei, von Geschäftsleuten des Nordens, von radikalen Studentenführern. Die Rebellengruppen und Kriegsfronten sind inzwischen so zahlreich wie unübersichtlich; die Elfenbeinküste versinkt in einer Reihe blutiger Kleinkriege, deren Massengräber an das Massenschlachten von Liberia erinnern. Und in der tragischen Rolle des Samuel Doe, dem seine Kollegen Wortbruch nicht verzeihen, steht Laurent Gbagbo, der bei einer Niederlage im Krieg vermutlich mit dem Exekutionskommando rechnen muss.

Als Motor für die Brutalität und Unerbittlichkeit der Kriegsführer in der Elfenbeinküste ist immer wieder – und richtigerweise – das verhängnisvolle Konzept der „Ivoirité“ identifiziert worden – jene nach dem Tode Houphouët-Boignys entstandene Ideologie der Diskriminierung zwischen „wahren Ivoirern“ und Nachkommen von Einwanderern. Für die Elfenbeinküste ist dieses Denkmuster geradezu selbstmörderisch, verdankt das Land doch seinen Reichtum, seinen hoch entwickelten kommerziellen Agrarsektor und seinen guten Ruf in Afrika seiner historischen Offenheit. Die immer wiederkehrende Jagd auf Ausländer durch die Gendarmerie des sozialistischen Staatschefs Laurent Gbagbo ist mit den Vorstufen eines Genozids verglichen worden. Ohne eine Abkehr von der Ivoirité ist eine Befriedung der Elfenbeinküste nicht möglich.

Aber das erklärt nicht, wie eine so offenkundig kontraproduktive Ideologie überhaupt Wurzeln schlagen konnte, und warum Politiker meinen, damit Macht erobern und anschließend absichern zu können. Die Krise zeigt, dass die Staaten der Region viel schwächer sind, als sie nach außen aussehen. Der von Frankreich geerbte Zentralismus mit dem Hang zum Ornamentalen in der Ausprägung staatlicher Institutionen kann Außenstehende allzu leicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hinter den Kulissen der Macht nur wenige Einzelpersonen wirklich bewegen, die ganz andere – nämlich ihre persönlichen – Interessen verfolgen, als sie öffentlich kundtun. Die laufenden Versuche, mittels Einigungen über eine neue Verfassung und ein neues Wahl- und Landrecht in der Elfenbeinküste die Ivoirité zu entschärfen und damit die Krise zu lösen, sind damit zum Scheitern verurteilt. Solange Westafrikas Warlords den Ausleseprozess in ihren eigenen Reihen nicht beendet haben, wird es keinen Frieden geben.

Es rennt keine aufgeputschteBevölkerung auf der Suche nach Warlords durch den Busch

Sierra Leone hat gezeigt, wie durch das Ausschalten einer einzigen Person – Rebellenführer Foday Sankoh – ein Bürgerkrieg plötzlich in seiner Dynamik gebrochen werden kann. Keines der dem Krieg in Sierra Leone zugrunde liegenden Probleme ist gelöst, Frieden ist also strukturell unmöglich – und trotzdem schweigen die Waffen. Wahrscheinlich nicht lange, aber immerhin könnte in diesem Land jetzt ein Reformprozess in Gang gebracht werden, der zur Überwindung der Probleme Sierra Leones beiträgt. Das passiert nicht – stattdessen findet nun eine Verfassungsdebatte für die Elfenbeinküste statt.

Das traurige Paradox Westafrikas ist, dass über Reformen immer nur dann geredet wird, wenn die Situation deren Umsetzung gar nicht zulässt, während ein stabiles System, im dem geordneter Fortschritt möglich wäre, in Ruhe gelassen wird, weil man davon ausgeht, dass ja alles in Ordnung ist. Eigentlich hätte diese Illusion schon 1980 am Strand von Monrovia platzen müssen. Aber nun ist es bereits 22 Jahre her, seit die Politiker der Region zuerst die Übermacht des Gewehrs anerkennen mussten, die sie mit dem Ende des Kolonialismus überwunden geglaubt hatten. Und jetzt macht eine neue Generation die alten Erfahrungen des Krieges.

DOMINIC JOHNSON