Zeitweilig unbehaust

Zum zweiten Mal geschenkt: Kunsthallen-Schau zeigt Nolde-Gemälde „Hülltoft Hof“ und verwandte Aquarelle

Eigentlich kommt der Mensch in dieser Landschaft gar nicht vor. Oder – doch: In Form eines kleinen, an die untere Aquarell-Ecke geklebten Häuschens, das winziger Mosaikstein ist im großen Farbspiel. Und genau genommen ist es gleichgültig, welche Warft Emil Nolde in seine Landschaften setzt: Thema ist immer wucherndes Licht, mühsam zu (Farb-)Materie gebändigt bzw. strukturiert durch Kerben, die der Mensch – als Pfad, als Wall – in die Landschaft schnitt. Subtil vor die Farbe geschobene Koordinaten sind es, die Noldes eigentliche Frage nach der Relation von Himmel und Erde offenbaren. Geologie als Kalligraphie, ekstatisch dem Schöpfer nachgestammelt, findet sich hier.

Und wird doch phasenweise ganz konkret: Hülltoft Hof hieß das Gebäude, das Nolde von seinem Wohnsitz Seebüll aus im Süden sehen konnte. Markantester Punkt: zwei weiße Scheunentore, die tröstlich die Existenz des Nachbargehöfts andeuteten. In stark verdünnter Ölfarbe hat Nolde das Werk 1932 gestaltet, das seit November 2002 wieder der Kunsthalle gehört.

Die reale Geschichte des Werks, das eine Sonderschau derzeit in verwandte Aquarelle einbettet, kontrastiert stark mit seiner kosmologischen Dimension: Nach langen Verhandlungen konnte Harald Busch, 1934 von den Nazis anstelle des missliebigen Gustav Pauli eingesetzter Kunsthallen-Leiter, das Gemälde für das Haus sichern. Dass er den kranken Nolde, der damals einen weiteren Kaufinteressenten hatte, monatelang hinhielt und im Preis zu drücken versuchte, ist nur Nebenzweig der Geschichte. Der Hamburger Unternehmer Alfred Voss erwarb das Werk jedenfalls schließlich für die Kunsthalle.

Kulturpolitisch gewagt war allerdings weniger Buschs Einsatz für das Nolde-Bild mit unverfänglicher Landschaft, als die Konzeption der Neuhängung der Kunsthalle 1935: Der modernen Kunst gewogen machen wollte NSDAP-Mitglied Busch die Machthaber – und ging dabei streng wissenschaftlich vor, indem er auch Max Liebermann einen angemessenen Platz zuwies. Doch die Antisemiten schliefen nicht: Ein Parteiausschlussverfahren und Buschs Entlassung folgten. Das Bild Hülltoft Hof wurde beschlagnahmt und 1937 in der Schau „Entartete Kunst“ gezeigt. Später wanderte es ins Depot jener Werke, die die Nazis aus öffentlichen Sammlungen entfernt hatten: ins Schloss Niederschönhausen bei Berlin.

Ein Berliner Kunsthändler, der Zugang zu dem Depot hatte, verkaufte es nach Norwegen, wo es bei einem Privatsammler den Zweiten Weltkrieg überlebte; in den 50er Jahren erwarb es ein norddeutscher Privatsammler. 2002 wurde das Gemälde auf einer Berliner Auktion angeboten, wo es die Alfred-Voss-Erben für die Kunsthalle kauften. „Um die Untat der Nationalsozialisten rückgängig zu machen“, schreibt Kunsthallen-Direktor Uwe M. Schneede im Vorwort zum Begleitheft. Dies gelingt wohl nicht. Aber ein neues Behaustsein für das Gemälde – das kann es geben. PETRA SCHELLEN

Emil Nolde – Hülltoft Hof. Kunsthalle. Di–Fr 11–18, Do bis 21 Uhr; bis 26. Januar