berliner szenen Weitsprunglandschaften

Keine Ordnung, nirgends

Berlin ist zu groß. Zumindest wenn man Bonn gewöhnt ist. Obwohl viele vor der Beschaulichkeit der ehemaligen Hauptstadt gen Osten fliehen, gibt es auch handfeste Gründe, gegen Berlin zu sein. Vor allem im Winter. Tiefe Schlaglöcher voller Regenwasser mutieren zu Seenlandschaften und lassen Spaziergänger wie Weitsprungwettbewerber aussehen. Durchnässt sucht man Unterschlupf in einem der unzähligen Cafés. Doch kaputte Heizungen und blasierte Kellner, die den Wunsch nach einer heißen Zitrone beharrlich ignorieren, helfen nicht wirklich, Wohlbefinden zu entwickeln.

Außerdem verläuft man sich auch andauernd in diesem Berlin. Die Beschreibung des Kioskbesitzers in Moabit, wie man nach Mitte kommt, eröffnet ungeahnte Komplikationen. „In die U-Bahn, bis Alex und dann die Tram bis Scheunenviertel oder die S-Bahn zu den Höfen!“ Die bittere Erkenntnis, dass man ein Landei ist, wird durch die ironische Frage „Sind wohl nicht von hier, wa?“ verstärkt. Ja, man ist nicht von hier, gehört nicht in diese Stadt, deren Hausnummern völlig unlogisch verlaufen und wo Busfahrer ihre eigene Route nicht kennen. Schließlich landet man statt in den Sophiensälen auf einem Friedhof. Dorotheenstädtischer heißt der und gibt einem für kurze Zeit das Gefühl, zurück in einer überschaubaren Welt zu sein.

Keine arroganten Kellner weit und breit. Stattdessen ein trautes Idyll zwischen den Gräbern Fichtes und Manns. Denkste! Kaum spielt man mit dem Gedanken, sein Berlin-Vorurteil noch mal zu überarbeiten, da lauern plötzlich Zigarre rauchende Mantelträger um die Grabsteine herum. „Hab ’ne Lesung, morgen! Heiner am Wasserturm“, flüstern sie. „Kannst ja kommen!“ Wohin, bitte? AYGÜL CIZMECIOGLU