Architektur: Unterschätzte Bauten

Oft übersehen, vielerorts vom Abriss bedroht und doch ein architektonischer Schatz: die Kirchen der Nachkriegszeit.

Über ihren prominenten Kollegen Frank Gehry erzählen sich Architekten den Witz, er habe zu seiner Form gefunden, nachdem er wütend ein verpfuschtes Skizzenblatt in den Mülleimer befördert hatte. Plötzlich inspiriert, fischte er die zerknüllte Papierkugel wieder heraus und legte sie auf seinen Schreibtisch: So und nicht anders sollte sein nächstes Gebäude aussehen.

Eine der ersten wiederaufgebauten Kirchen in Deutschland nach dem Krieg war die Paulskirche in Frankfurt, die als Symbol für ein anderes Deutschland rekonstruiert wurde.

Hamburg setzte dagegen stärker auf den Neubau der zerstörten Kirchen. Prominentes Beispiel ist dafür die neu errichtete Hauptkirche St. Nikolai in Harvestehude. Die alte, ausgebombte Nikolai-Kirche am Hopfenmarkt ließ man als offene Wunde in der Stadt stehen.

Eine Zwischenlösung war die von Otto Bartnig konzipierte Notkirche: Sie basierte auf einem Modellraum in Leichtbauweise. Das Holz wurde meist von skandinavischen oder amerikanischen Gemeinden gestiftet. Zusätzlich wurden Trümmersteine in den Bau integriert.

Andere Kirchbauten versuchten sich an der Symbiose. Was noch stand, blieb stehen, und wurde zum integralen Bestandteil einer neuen Form.

Ähnlich könnte es sich zugetragen haben, als die katholische Kirche St. Maximilian Kolbe in Hamburg-Wilhelmsburg entworfen wurde. Von vorne sieht sie mit ihrer geschwungenen Fassade, die in einen Turm ausläuft, wie ein Streifen Papier aus, der sich an einem seiner Enden schräg zusammenrollt; skulptural, ein wenig wie eine Kaprize der Kunst, ein wenig wie Gehry.

In der Kirche ist zur Zeit eine Ausstellung über Hamburgs Nachkriegskirchen und den Planer von St. Maximilian Kolbe, den Bremerhavener Architekten Jo Filke zu sehen. Klingt ein wenig abseitig, ist aber von großer Relevanz und Brisanz. Relevant, weil die Architektur im Kirchbau der Nachkriegszeit ein Experimentierfeld vorfand: Unzählige Gotteshäuser lagen in Schutt und Asche, neu entstandene Stadteile brauchten neue geistliche Zentren. Brisant, weil die Ergebnisse bis heute kaum angemessene Wertschätzung erlangt haben und vielerorts bedroht sind.

"Baukunst von morgen!" lautet der Titel der Ausstellung selbstbewusst. Sie greift damit ein Wort des Architekten Otto Bartnig auf, das er 1953 über den Kichenbau fällte und womit er in der Rekonstruktionsdebatte der Nachkriegsjahre wiederholt Position bezog. "Wiederaufbau? Technisch, geldlich nicht möglich, sage ich Ihnen; was sage ich? - Seelisch unmöglich", lautete sein Diktum schon 1946. Es erstaunt bis heute, dass auch in kirchlichen Kreisen diese Abkehr von Tradition mitgemacht wurde - und zwar nicht etwa nur in den reformierten Kirchen, sondern selbst noch in dem Traditionsunternehmen, das die Katholische Kirche ist. Aber so wars und so schrieb der katholische Publizist Walter Dirks: "Nur eins ist angemessen und groß: den Spruch der Geschichte anzunehmen, er ist endgültig … Dem Mut zur Zukunft entspricht die Entschlossenheit, Abschied zu nehmen von dem, was unwiderruflich vorbei ist."

An der katholischen Kirche St. Maximilian Kolbe kann dieser Abschluss mit dem, was war - die mit dem "Dritten Reich" diskreditierte Geschichte - abgelesen werden. Passend, weil der Namensgeber als Märtyrer in einem KZ starb, nachdem er versucht hatte, Juden vor dem Zugriff der Gestapo zu schützen.

Die Kirche lässt an eine Art katholisches Bilderverbot denken: Nach außen wirkt sie mit ihrem Sichtbeton hermetisch abgeschlossen, der Eingang liegt fast versteckt an der Seite. Ein Kreuz gab es anfangs gar nicht, es wurde erst in den späten 80er Jahren an der Rückseite angebracht. Auch Kirchenschiff und Chor fehlen: Der Grundriss ist polygonal, wobei die Stuhlreihen im Halbrund angeordnet sind und die Form der gewaltigen, fächerartigen Dachbalkenkonstruktion aufnehmen. Das Licht fällt durch schlichte Lamellenfenster herein. Ein Kruzifix hängt an der Wand, aber das war es auch schon mit der Ausgestaltung. Keine Heiligenbildchen. Nicht einmal von Kolbe.

Die reformierten Kirchen sind in der Reduktion freilich weiter gegangen. Die Evangelisch-reformierte Kirche in der Hamburger Altstadt beispielsweise kommt ohne Turm aus, ohne den erhobenen Zeigefinger der Sakralbauten. Klobig wirkt sie von außen, mit ihrem billigen Industrie-Gelbklinker ein wenig abstoßend. Wie so viele Kirchen der Nachkriegszeit überzeugt sie erst von innen: Siebeneckig der unregelmäßige Grundriss, eine gefaltete Holzdecke, schräge Wände, die von Fensterbändern eingefasst werden, und eine große Betonglasfassade, die durch Grau- und Blautöne wie zerbrochen, gefaltet, wie aus Scherben zusammengesetzt wirkt.

Nichts stört das komplexe und doch schlichte Zusammenspiel von Licht, Raum und Farbe: Die Ausstattung beschränkt sich auf das Nötigste: die Stuhlreihen, ein runder Tisch, der vielleicht einen Altar vorstellt, und eine trapezförmige Kanzel, alles aus dem selben Holz.

Skulpturale Entwürfe, ungewöhnliche Raumkompositionen und erstaunliche Lichtführung und -effekte: Das sind die architektonischen Werte, die die Ausstellung den Kirchen der 1950er bis 1970er Jahre bescheinigt. Allgemein anerkannt sind sie nicht. Das zeigt sich etwa, wenn es durch schrumpfende Gemeinden zu Kirchenfusionen kommt. Regelmäßig bekommt da die ältere Kirche, meist aus dem Historismus, den Zuschlag für die gottesdienstliche Nutzung. Die Nachkriegskirchen aber verschwinden. Oft ohne dass ihre Vorzüge auch nur einmal gewürdigt worden wären.

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