: Archipel der Künste
Mit der Ausstellung „4FREE-Art, politics, science & esthetic survival strategies“ eröffnet das BüroFriedrich seine neuen Räume an der Jannowitzbrücke. Dort soll ein „Kontrastprogramm zu den etablierten Galerien“ präsentiert werden
„We have an anti-institutional approach“ erklärt Waling Boers, Leiter des BüroFriedrichs, das sich ab jetzt als „Center for Contemporary Art“ bezeichnet. Nachdem BüroFriedrich zuletzt ein Loft in der Gipsstraße bezogen hatte, wird nun die Arbeit am antiinstitutionellen Ansatz in den S-Bahn-Bögen an der Jannowitzbrücke fortgesetzt.
Dabei passt die sehr heterogene, von einer ganzen Reihe Sponsoren unterstützte Gruppenausstellung, die dort gezeigt wird, perfekt in den Mainstream institutioneller Kunstpraxis: Immer häufiger führt das Zusammenbringen zahlreicher so genannter künstlerischer Positionen dazu, dass Ausstellungen zu babylonischen Laboratorien der Multidisziplinarität mutieren. Dass dort außer den Programmverfassern niemand mehr richtig weiß, wonach eigentlich geforscht wird, scheint nicht allzu sehr zu stören.
Ähnlich steht es im Fall von „4FREE“. Dort ist ein künstlerischer Archipel entstanden, dessen insgesamt 24 präsentierte Positionen wie die einzelnen Inseln in der Arbeit „das Atoll“ – so der Titel des Beitrags der gleichnamigen Künstlergruppe – aussehen. Vielleicht hängt es mit der langen Tradition kartografischer Formate in der Kunstgeschichte zusammen, dass die Karte des Atolls in diesem Fall als Metapher der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage gelesen werden kann: Während „gender traffic“ und die Grenzlinie der „free trade zone“ zwischen den Gebieten der „city of others“ und der „foreign country“ fließen, tragen die einzelnen Inseln Namen wie „Treasure Island“, „Sleep“, „Ile de la méthode“, „Alcatraz“ oder noch „Solitude“. Auch Europa ist übrigens dabei, als kleiner schwarzer Punkt auf den „Disneyland“-Inseln.
Die nötige Spannung bekommt „4FREE“ aber dadurch, dass hier eine Vielfalt erzählerischer, technischer und ästhetischer Strömungen fließt, die zum Teil zu extrem voneinander entfernten Territorien führen. So lässt der aus New York kommende Künstler Jonathan Horowitz unter dem Titel „Talking without thinking (while getting drunk and coked-up)“ einen Monolog aus einem in der Wand eingebauten Lautsprecher stolpern. Zwischen das gestammelte „euh . . . euh . . . euh . . .“ mischen sich Wörter oder Satzfetzen wie „John Cage“, „i feel fine“ oder „last words“ und sorgen damit für Atmosphäre. Weil sonst nur ein Porträt von George W. Bush in dem leeren Raum zu sehen ist, kann das softe, tragikomische Delirium von Horowitz als eine Parodie der rauschfeindlichen Haltung sowie der Redekunst des US-Präsidenten interpretiert werden.
Dass andere und komplexere Grenzen als die von Gut und Böse die heutigen Territorien des Politischen bestimmen, demonstriert das work in progress des in Jerusalem lebenden Künstlers Tal Adler. Seine Fotografien über das konfliktvolle Zusammenleben der Palästinenser und der Israelis hat Adler auf die untere Hälfte von Din-A 4-Blättern kopiert, die die Besucher für 5 Mark kaufen können. Hier geht es aber nicht um klassichen, also privaten Erwerb von Kunst, sondern um ein solidarisches Brainstorming: Auf den weißen Feldern sollen die Besucher Kommentare zu den Bildern schreiben, die zusammen schließlich als Wandinstallation funktionieren sollen. Aus den bisherigen Publikumsbeiträgen lässt sich erahnen, dass die Installation am Ende nicht mehr als ein mit frommen Wünschen und hilflosen Aphorismen bestücktes Panorama zeigen wird.
Ein ganz anderes Territorium hat sich die holländische Architektengruppe MVRDV ausgesucht. In ihrem „Pig city“ genannten Projekt, das anhand einer Computeranimation präsentiert wird, schlagen sie 650 Meter hohe Türme als zukunftsträchtige Lösungen für die niederländische Schweinezuchtindustrie vor. Da das Land nach wie vor Spitzenreiter der europäischen Schnitzelproduktion ist, muss wohl in der Viehzucht nach oben aufgeschichtet werden. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit der landwirtschaftlichen Universität Wageningen, seine fundierte Wissenschaftlichkeit verleiht der gezielten Vereinigung ökologischer Elemente mit einer radikalen Industrialisierung echte alptraumhafte Züge.
Auch in der aus drei gleichzeitig laufenden Videoprojektionen bestehenden Installation „Unholy Solution, Event # 2“ der Kalifornier Fiering & Luem taucht irgendwann Fleisch auf. Und zwar mächtig, als jemand eine riesige Keule in ein zum Grillofen umgewandeltes Ölfass wirft. Die in der beeindruckenden soziologischen Dokumentation porträtierten Jugendlichen brauchen anscheinend animalische Kräfte, um ihr blutiges Nachspielen von Wrestlingkämpfen in den Hinterhöfen des kalifornischen Traums zwar kunstvoll, aber nicht ohne Gefahr durchzuführen.
Um eine etwas ältere und vor allem friedlichere, weil wohlhabendere Jugend geht es im „message salon Wohnwagen“ der Schweizerin Esther Eppstein. Seit 1996 praktiziert Eppstein in Zürich die Kunst der Vermittlung und stellt Räume für Austellungen und Konzerte zur Verfügung. Zwischen 1998 und 2000 machte sie Ernst mit dem dem Künstlerleben heutzutage anhaftende Nomadischen und installierte ihre Basis in einen Wohnwagen. Dieser hat jetzt in Berlin Halt gemacht und ermöglicht anhand zahlreicher Fotoalben und einer umfangreichen Videosammlung einen Einblick auf einen weiteren, eigenartigen Kunstarchipel: den der Züricher Undergroundszene. YVES ROSSET
„4FREE“, Di–Fr 13–19 Uhr, Sa–So 14–17 Uhr, BüroFriedrich, Holzmarktstraße 15–18. Ein von Liam Gillick gestalteter Katalog soll demnächst erschienen.
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