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ArbeitsmarktSenat wählt Billigjobs

Callcentern, die nach Berlin ziehen, finanziert der Senat die Personalsuche. Mindestlöhne, für die sich Rot-Rot sonst einsetzt, müssen die Firmen nicht zahlen.

Hauptsache Arbeit? Meist sind Jobs in Callcentern mies bezahlt und unerquicklich Bild: dpa

Callcenter haben es besonders schwer bei der Suche nach Arbeitskräften: Sie haben keinen guten Ruf, sie zahlen oft schlecht, und in vielen Fällen sind die Arbeitszeiten ungünstig, weil manche Hotlines auch nachts und am Wochenende erreichbar sein müssen. Derzeit arbeiten laut Arbeitsagentur rund 190 Callcenter mit gut 7.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Berlin. Die Suche nach Beschäftigten ist oft schwierig - trotz hoher Arbeitslosigkeit. Ab Juli soll nun ein neuer Auftrag beginnen: Der Senat will Callcenter, die nach Berlin ziehen, bei der Rekrutierung von Mitarbeitern unterstützen. Besondere Sozialstandards für die vermittelten Arbeitsstellen gibt es dabei nicht.

Für diesen besonderen Service für Unternehmen ist die Senatsverwaltung für Wirtschaft von Linkspartei-Senator Harald Wolf zuständig. Die hat damit die private Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung beauftragt, welche derzeit nach einem Subauftragnehmer sucht. Dieser soll dann Stellenanzeigen schalten, die Bewerbungen prüfen und die Arbeitslosen in einem Assessment-Center auf ihre Fähigkeiten testen. Das Callcenter erhält dann die Empfehlungen, wen es einstellen soll.

Für die Unternehmen, die normalerweise die Aufwendungen für ihre Personalauswahl selbst zahlen müssen, ist dieser Service in Berlin kostenlos. Es zahlt der Steuerzahler - und zwar bis zu 115.000 Euro pro Halbjahr, die vom Europäischen Sozialfonds und vom Land kommen.

Auch in der Vergangenheit gab es eine vergleichbare Förderung. Einer der Profiteure war Quelle, die für ihr "Quelle Communication Center" neue Mitarbeiter suchten - und fündig wurden. Nach Angaben von Jürgen Stahl, der sich bei Ver.di mit den Arbeitsbedingungen von Callcentern beschäftigt, erhalten viele Mitarbeiter bei Quelle einen Stundenlohn von 6,04 Euro. Bei einer typischen Arbeitszeit von 30 bis 35 Stunden pro Woche ergibt das einen Bruttolohn von etwa 750 bis 850 Euro im Monat. Stahl: "Viele Kollegen müssen sich vom Amt ihr Einkommen auf Hartz-IV-Niveau aufstocken lassen."

Soziale Mindestkriterien für die mit Hilfe des Senats vermittelten Arbeitsplätze gibt es nicht. Die Callcenter müssen sich neu und dauerhaft in Berlin ansiedeln und mindestens fünf Arbeitsplätze schaffen. "Wir empfehlen den Unternehmen, mindestens 6,50 Euro pro Stunde zu zahlen", sagt Burkhard Volbracht, der bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Berlin Partner arbeitet und dort interessierten Callcenter-Unternehmen den Service schmackhaft macht. Der Stundenlohn von 6,50 Euro sei allerdings nur "eine Einschätzung, aber keine Vorschrift".

Der Senat setzt sich für einen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde ein, die Bundes-Linkspartei fordert sogar 10 Euro. Warum unterstützt ein Linkspartei-Senator trotzdem Dumping-Arbeitgeber bei der Suche nach Arbeitskräften? Wolfs Sprecherin Brigitte Schmidt verweist darauf, dass ausschließlich Arbeitslose vermittelt werden. Es gehe auch darum, Unternehmen nach Berlin zu holen "und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen". Damit "hebt sich Berlin ab von anderen Bundesländern, mit denen es im Standortwettbewerb steht". Bei der hohen Arbeitslosigkeit sei das geboten. Die Investoren "haben somit die Möglichkeit, das große Potenzial an Arbeitssuchenden in Berlin für ihre Bedürfnisse effizient erschließen zu können". Und die Gehälter? Schmidt: "Es werden nur Unternehmen betreut, die am Markt angemessene Gehälter vergüten, da ansonsten keine Bewerberinnen und Bewerber rekrutiert werden könnten."

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5 Kommentare

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  • M
    Marion

    Das ist unglaublich! Gerade im Call Center Bereich findet man keinen Job mehr ohne Vermittlungsgutschein (Wert 2000 Euro...) oder der Vermittler will Geld direkt vom Arbeitssuchenden! Und wenn das Call Center mit dem Vermittler halbe-halbe macht und dazu noch ausschließlich vom Staat subventionierte Arbeitnehmer einsetzt, welche er nach 6-12 Monaten wieder feuert, hat er einen riesigen steuersubventionierten Wettberwerbsvorteil gegenüber anständigen und ehrlichen Firmen.

     

    Es wäre billiger, wenn die Arbeitsvermittlung wieder von den Arbeitsagenturen übernommen werden würde, zumal sich in Zeiten des Internets die Jobsuche ohnehin vereinfacht hat. Wozu noch Vermittlungsagenturen finanzieren? Damit sich die Firmen ihre Kosten für den Personalchef sparen?

     

    Dabei ist es ganz einfach. Würde sich jeder Arbeitssuchende selbst kümmern und die Vermittler ignorieren, hätte sich das Thema von selbst erledigt.

  • HF
    Heidemarie F. C. Grünheid

    Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt.

    Was ist das für eine soziale linke Wirtschaftsförderung?

     

    Im Bundestag die Abschaffung von Hartz-Gesetzen fordern und in Berlin werden diese Unrechtsgesetze jeden Tag umgesetzt. Was will die Partei DIE LINKE wirklich erreichen?

  • W
    Working_Class_Ant

    Was in dem Bericht nicht steht, aber den Tatsachen entspricht möchte ich als Betroffene Ausgebeutete Mitteilen.

    Bei dem Quelle Communication Center Berlin, welches zu Arcandor gehört, wurde vor knapp 2 Jahren nur Hartz IV Empfänger eingestellt. Für 30 Stunden in der Woche Das bedeutete 6 Monate auf Staatskosten arbeiten,Montags bis Samstag im Schicht Dienst, danach wurden Leute die sich den Job selber suchten nahe gelegt sie müssen sich einen Vermittlungsgutschein holen um dort eingestellt zu werden. Hier hielt dann noch mal jemand die Hand auf, für etwas was er gar nicht machte. Arbeitslose vermitteln.

     

    Die ALG II Empfänger nahmen den Job danken an, wurde doch suggeriert das es im Anschluss einen Unbefristeten Vertrag gibt.

    Den gibt es nun auch, aber nur 20 Std. im First Level und 25 Stunden im Second Level. Das würde bedeuten das alle 1200 Angestellte ergänzende Hilfe vom Staat beziehen müssen, das ganze kommt natürlich zu den Geldern die Arcandor nun noch vom Staat dazu haben möchte. Zudem wurde dies nicht nur in Berlin, sondern auch in Magdeburg praktiziert.

    QUELLE, Arcandor oder auch Primondo, egal wie man den Verein betiteln möchte, es ist und bleibt der immer gleiche Ausbeuter.

  • VV
    Volker Vonssen

    Das ist typisch für die oftmals aber natürlich nicht durchgängig auftretende Verlogenheit der Linken: zwischen politischer Forderung und tatsächlicher Umsetzung klafft ein himmelweiter Unterschied. Herr Wolf sollte mal bei Frau Knake-Werner nachfragen: vielleicht wären die Fensterputzer umzuschulen. Gewerbescheine gibt es ja bald :-)

  • T
    Tagedieb

    Wenn ich es richtig verstehe, möchte der Senat mit seiner Initiative die Ansiedlung von Callcentern fördern, in denen mehr oder weniger Hungerlöhne gezahlt werden sollen. Es ist acu anzunehmen, dass damit Tätigkeiten gefördert werden, die gegen geltende Verbraucherschutzbestimmungen verstoßen, sog. cold calls - unerwünschte Werbeanrufe.

    Es geht aber noch weiter. Die Sentasverwaltung für Wirtschaft beauftragt die GSUB, hierfür Werbemaßnahmen durchzuführen. Diese wiederum hat nichts besseres zu tun, als nach Zuschlagserteilung Subunternehmer zu suchen, die die eigentliche Arbeit erledigen sollen. Frage: Ist die GSUB nun für die Aufgabe geeignet, für die sie den Auftrag erhalten hat oder nicht? Und, wieviel Geld kommt bei den Arbeitnehmern des Subunternehmers an, die die eigentliche Arbeit erledigen sollen?

    Hätte die Senatsverwaltung es nicht billiger haben können, wenn die GSUB nicht zwischengeschaltet wird? Oder, könnten die eigentlichen Auftragnehmer, nämlich die, die die Arbeit erledigen werden, nicht mehr Geld erwarten, wenn die GSUB nicht zwischengeschaltet wäre?

    Ferner stellt sich die Frage, weshalb die Senatsverwaltung die GSUB quasi als Generalunternehmer beauftragt hat. Ist die Senatsverwaltung zu faul, sich mehr Mühe mit der Ausschreibung zu machen und ggfs. auch hinsichtlich der Umsetzung des Auftrages mehr Verantwortung zu übernehmen? Weshalb mehr Verantwortung? Wenn ich einen Generalunternehmer beauftrage, ist der für alles verantrwortlich. Wenn etwas schief geht, ist der verantwortlich. Bin ich selber für die Koordination der beteiligten Unternehmen zuständig, muss ich mehr arbeiten, geht etwas schief, habe ich auch noch direkt die Probleme am Hacken.

    Aus meiner Sicht eine Initiative, die nicht nur inhaltlich stinkt, sondern auch von der Umsetzungsweise her einfach ein beschissenes Bild auf die zuständige Senatsverwaltung (und damit Hr. Wolf/Die Linke) wirft.

    Will die taz nicht in diesem Bereich weiter nachfragen?

    Tagedieb