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Arbeitsmarkt-StudieJede zweite Neueinstellung befristet

Die Zahl befristeter Beschäftigter ist in Deutschland so hoch wie nie zuvor. Gewerkschafter warnen vor fatalen Folgen.

Schlechte Zeiten für Angestellte: Eine befristeter Vertrag wird inzwischen als verlängerte Probezeit missbraucht. Bild: dpa

BERLIN rtr/afp | Deutsche Unternehmen geben einer Studie zufolge jedem zweiten neuen Mitarbeiter nur noch einen befristeten Vertrag. Der Anteil der Vereinbarungen sei im ersten Halbjahr 2009 auf 47 Prozent gestiegen, heißt es in dem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, aus dem die "Süddeutsche Zeitung" am Mittwoch zitierte. Im Jahr 2001 lag der Anteil demnach noch bei einem Drittel. Nach Daten des Statistisches Bundesamts ist die Zahl befristeter Beschäftigter so hoch wie nie zuvor. Demnach hatten 2008 knapp neun Prozent aller Erwerbstätigen eingeschränkte Verträge.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte ein Verbot dieser Form der Beschäftigung. "Die fatalen Folgen befristeter Beschäftigung werden politisch viel zu wenig diskutiert", sagte DGB-Vize Ingrid Sehrbrock der "Berliner Zeitung". Vertretungen oder die Abdeckung von Auftragsspitzen könnten erlaubt bleiben, nicht aber "Befristungen ins Blaue hinein". Die Verträge schränkten die Lebensplanung ein und benachteiligten die betroffenen Mitarbeiter bei der Weiterbildung.

Betriebsseelsorger und Arbeitspsychologen kritisieren die zunehmende Zahl befristeter Arbeitsverträge. Durch die befristeten Jobs werde den Arbeitnehmern "jegliche Lebensplanung unmöglich gemacht", sagte der Bundessprecher der katholischen Betriebsseelsorger, Peter Hartlaub, der "Frankfurter Rundschau" vom Mittwoch. Vor allem junge Menschen litten darunter. Sie seien oft auch mit ganz praktischen Problemen konfrontiert: "Wenn man einen Kredit für ein Auto braucht, hat man mit einem befristeten Vertrag schlechte Karten."

Die Wirkung der befristeten Anstellungen könne auch für die Unternehmen "absolut kontraproduktiv" sein, sagte der Frankfurter Arbeitspsychologe Dieter Zapf der Zeitung. Er habe den Eindruck, "als würden die Unternehmen alles tun, um die Mitarbeiter zu demotivieren. Dabei müssten sie an motivierten Mitarbeitern interessiert sein."

Der Chef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Joachim Möller, verteidigte die gestiegene Zahl von befristeten Arbeitsverträgen. Zwar sei die Verbreitung befristeter Jobs für Beschäftigte erst einmal nicht erfreulich, sagte er "Frankfurter Rundschau". "Aber man muss sich fragen, wie die Alternativen aussehen." Arbeitgeber benötigten eine gewisse Flexibilität beim Arbeitskräftebedarf. Ein Instrument sei die Befristung, auf die man nicht einfach verzichten könne. "Den Kündigungsschutz zu reduzieren oder die Leiharbeit zu forcieren, wären meiner Meinung nach schlechtere Alternativen."

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7 Kommentare

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  • GU
    Geext und gehoppt

    Ja, es ist wirklich Zeit, dass diese Ex-und-hopp-war-ja-billig-zu-haben-und-da-draußen-sind-noch-viel-mehr-fleißige-Dussel-Mentalität endlich ein Ende hat! Beziehungsweise, dass der Arbeitsschutz in Deutschland wieder so gestaltet wird, daß er den ARBEITNEHMER/INNEN nützt. Auch den kleinen befristeten Negerlein, die sonst immer in die Röhre gucken, weil sie gar nicht lang genug im Unternehmen sind, um irgendwelche nennenswerten Schutzrechte zu erwerben.

    Ein planbares Leben? Das wäre ein Traum! Ich selbst habe einen Rattenschwanz befristeter Jobs im akademischen Bereich hinter mir (aber maximal für Bürokraft-Gehalt, wär ja sonst viiiel zu teuer gekommen). Gefühlt war dies, wie auch der Artikel erwähnt, eine Kette von Probezeiten. Und da gibt man sich ja immer besonders viel Mühe - könnte ja doch irgendwie mal eine Festanstellung dabei rausspringen, wäre doch gelacht, wenn es dieses Mal nicht klappen würde ... Dank dieser Daueranspannung bin ich nun im Burnout gelandet. Einkommen futsch, Perspektive futsch, Lebenslauf seltsam!

    Die typische Frage im Bewerbungsgespräch: "Ja, warum sind Sie denn nicht mal irgendwo geblieben?" Da weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll.

  • G
    GWalter

    Laut Eurostat sind die deutschen Löhne zwischen 1995 und 2006 um gerade einmal 9,5% gestiegen ? dies ist weniger als die Inflation und entspricht einer Reallohnkürzung. Im Vergleichszeitraum stiegen die Löhne in Frankreich um 49%, in Spanien um 103% und in Großbritannien gar um 128%. Natürlich hat diese Niedriglohnpolitik auch die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähiger gemacht. Seit Einführung des Euro sind die Lohnstückkosten in Deutschland um 14% gesunken, während sie in Griechenland stabil blieben, in Portugal um 5% , in Spanien um 28% und in Italien gar um 46% gestiegen sind.

     

    Mit den Löhnen steigt natürlich auch die Nachfrage nach Gütern ? so konsumierten die Franzosen im Jahre 2006 29% mehr Güter und Dienstleistungen als zehn Jahre zuvor. Die Briten leisteten sich 43%, die Spanier sogar 61% mehr als vor einem Jahrzehnt. Während halb Europa sich mehr leisten kann, muss Deutschland knausern ? die Niedriglohnpolitik hat dazu geführt, dass Deutschland in der letzten Dekade gerade einmal 9% mehr Waren und Dienstleistungen konsumierte.

     

    Deutschland produziert demnach von Jahr zu Jahr billiger, exportiert von Jahr zu Jahr mehr und konsumiert von Jahr zu Jahr weniger als seine Nachbarn. Funktionieren kann dieses eigenwillige "Erfolgsmodell" jedoch nur, weil die Europäer nicht allesamt "Deutsche" sind.

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    "Der Chef des .. (IAB), Joachim Möller, ....(sagt): "Aber man muss sich fragen, wie die Alternativen aussehen." " @Denkmalnach meint sehr richtig: ".. aus diesem konstrukt auszubrechen ist ... der gesellschaftliche traum, den es zu verwirklichen gilt. "

     

    Beiden Genannten und allen sei gesagt, dass die Alternative, hier Traum genannt, in nichts anderem besteht als in der gesteuerten Übernachfrage nach Arbeitsstunden (= Vollbeschäftigung). Sie ist im Evolutionsprozess vorgesehen, d.h. man muß nur die Steuerungsinstrumente kennen, um Vollbeschäftigung Evolutionsprojekt aus der evolutionären Effizienzlogik abzuleiten u n d politisch/machtpolitisch auch zu implementieren. Anders formuliert: Der Sturz des herrschenden Kapitalstockmaximierungs-Regime ist im industriellen Fortschrittsprozess sehr wohl mit den Mitteln marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik erreichbar. Der evolutionssystem-kybernetische Erkenntnisstand dazu ist erkannt, aber er ist weder bei SPD, bei LINKS noch bei GRÜN nicht erwünscht und wird medial totgeschwiegen - weil deren Existenz-/Konfliktgrundlagen aufgelöst würden.

     

    Dieser Erkenntnisstand ist projektfähig entwickelt - als EPIKUR-Projekt. Doch wer nicht googelt, findet auch nicht die revolutionären und totgeschwiegenen Wahrheiten.

  • W
    wegen

    Ausbeutungstechnisch ist das gar nicht übel - vor allem wenn man den Befristlingen immer wieder eine unbefristete Stelle in Aussicht stellt, wenn sie schön fleißig arbeiten.

    So wie die berühmte Karotte, die dem faulen Gaul vors Maul gehängt wird...

  • D
    denktmalnach

    ich glaube bei diesen phänomen handelt es eigentlich nur um gewollte kontrollmechanismen, von der politik der wirtschaft in die hand gedrückt, um wettbewerbsdefizite durch lohndumping auszugleichen.

    mir ist egal wie man es nennt, aber überspitzt gesagt:

    dieses system lässt sich sehr wohl mit dem lehnsystem und noch weiter gedacht mit sklaverei vergleichen.

     

    wem ist es heute noch möglich auszusteigen und ein emanzipiertes, frei bestimmtes leben zu führen.

    jene die letzteres fordern, werden als utopisten verschrien-oder eben als populisten.

     

    "Der moderne Kapitalismus braucht Menschen, die in großer Zahl reibungslos funktionieren, die immer mehr konsumieren wollen, und deren Geschmack standardisiert ist [...]. Er braucht Menschen, die sich frei und unabhängig vorkommen und meinen, für sie gäbe es keine Autorität, keine Prinzipien und kein Gewissen - und die trotzdem bereit sind, sich kommandieren zu lassen, zu tun, was man von ihnen erwartet und sich reibungslos in die Gesellschaftsmaschinerie einzufügen."(Erich Fromm)

     

    aus diesem konstrukt auszubrechen ist meiner meinung nach der gesellschaftliche traum, den es zu verwirklichen gilt.

  • H
    HamburgerX

    Na und? Ich habe es noch nie verstanden, warum sich der Staat in die zeitliche Dauer von Verträgen einmischt. Lasst die Unternehmen doch lieber einen Arbeitnehmer zuviel einstellen, weil sie ihn im Notfall auch wieder loswerden können, als dass zu große Gesetzeshürden die Schaffung neuer Arbeitsplätze hemmen.

     

    Im Allgemein werden Arbeitgeber nämlich schon freiwillig an langfristigen Bindungen interessiert sein, da jede Einarbeitung eine Menge Geld kostet und interne Erfahrungen wichtig sind.

  • H
    Hans

    Soso, der DGB will diese Form der Beschäftigung verbieten.

    Dann hätte ich gerne mal die Zahlen der Einstellungen in 2009 (Wie allg. bekannt sein dürfte Kriesenjahr)gesehen, wenn es keine Befristungen geben würde.

     

    Bei uns wurden in 2009 2 Menschen neu eingestellt, mit einem befristeten Vertrag. Hätte es diesen nicht gegeben, wären sie nicht eingestellt worden.