: Arbeitslose der anderen Art
Führungskräfte werden heute schneller ausgetauscht, aber Unternehmen mögen dabei die sanfte und teure Tour / Gefeuerte Manager tarnen ihre Arbeitslosigkeit nach außen ■ Aus Berlin Barbara Dribbusch
Eigentlich hätte der Außendienstleiter einer großen Versicherung den Braten riechen müssen. Sein Arbeitsgebiet wurde in zwei Bereiche aufgeteilt, und er erhielt nur noch eine Hälfte. Drei Monate später legte ihm der Vorstand nahe, einen neuen Job zu suchen – selbstverständlich aus „ungekündigter Stellung“ heraus und mit Hilfe eines „outplacement“-Beraters.
Kein seltenes Manager-Schicksal. Erfolglose Führungskräfte müssen heutzutage schneller als früher ihre Sessel räumen, aber bei ihnen wählen Unternehmen anstelle eines offenen Rausschmisses die sanfte Tour.
Nur ein Bruchteil der ausgemusterten Chefs taucht bei den Arbeitsämtern auf. Im September 1993 stieg der Anteil der arbeitslos gemeldeten Volkswirte im Vergleich zum Vorjahresmonat um 33,4 Prozent auf 2.769 Personen. Unter den Diplom-Kaufleuten und Betriebswirten kletterte die Zahl der Arbeitslosen um 34,8 Prozent auf 4.816 (alle Zahlen gelten für Westdeutschland). Am stärksten schnellte der Anteil derjenigen in die Höhe, die schon einige Zeit im Beruf waren. „Immer mehr Unternehmen dünnen ihre Führungsebenen aus“, berichtet Eberhard Mann, Sprecher der Bundesanstalt für Arbeit.
Wer in deutschen Chefetagen auf sich hält, steigt aber gar nicht erst in die Masse der offiziellen Arbeitslosen herab. Manager, die 200.000 Mark Jahresgehalt eingestrichen haben, bekommen ohnehin nicht mehr als den Höchstsatz an Arbeitslosengeld, nämlich 2.976 Mark im Monat. Und Erwerbslosigkeit gilt als Stigma. „Nur ein Drittel unserer Bewerber ist arbeitslos gemeldet“, sagt Michael Göschel, Abteilungsleiter Managementvermittlung national bei der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) in Frankfurt. Die meisten Bewerber reichen ihr Stellengesuch bei der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung aus ungekündigter Position ein. Im vergangenen Jahr meldeten sich 3.911 Manager aus der oberen und obersten Führungsebene, 18 Prozent mehr als im Jahr zuvor. 633 Bewerbern konnte ein neuer Job vermittelt werden.
Gelingt kein fliegender Wechsel, fallen die Manager trotzdem nicht ins Bodenlose. Unternehmen zahlen ihren Führungskräften das Gehalt oft noch bis zum Ende des Vertrages, auch wenn dieser vorzeitig gelöst wird. Dazu noch Abfindungen, für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit etwa ein Monatsgehalt. Nicht selten gehen so Abfindungsbeträge zwischen 100.000 und 200.000 Mark über den geräumten Manager-Schreibtisch.
Dennoch pocht das soziale Gewissen der Vorstände besonders heftig, wenn altgediente Führungskräfte gehen sollen. Denn nirgendwo sind die Grenzen zwischen Vorständen und Management so dünn wie hier, „so mancher Vorstand befürchtet doch insgeheim, daß es auch ihn treffen könnte“, mutmaßt ein Branchenkenner. Sogenannte „outplacement“-Berater, die sich um gefeuerte Manager kümmern, bieten da Entlastung. „outplacement ist ein wachsendes Feld“, bestätigt Christoph Weirather vom Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU).
30.000 Mark kostet beispielsweise das Paket einer „outplacement“-Beratung bei der Düsseldorfer Consultingfirma von Rundstedt. Dafür wird dem arbeitslosen Manager für mehrere Monate ein Büro mit eigenem Telefonanschluß zur Verfügung gestellt. Von dort aus kann er alte Kontakte aufwärmen und für neue Beschäftigungschancen nutzen.
Die „outplacement“-Berater assistieren beim Lebenslauf und üben den sogenannten „Zwei-Minuten-Werbespot“ via Telefon. Denn „schriftliche Bewerbungen auf die üblichen Samstagsinserate hin reichen nicht“, erklärt Geschäftsführer Eberhard von Rundstedt. Die arbeitsuchenden Manager fahnden vielmehr selbst mit Hilfe der Berater und des großen Firmenarchivs nach geeigneten Betrieben, telefonieren mit den zuständigen Führungskräften („ich soll sie schön grüßen von ...“) und offerieren ein „Informationsgespräch“ über die eigenen Leistungen. Nur Verlierer dienen sich etwa bei der Personalabteilung schriftlich an und fragen plump nach vakanten Positionen.
Für manche Manager ist die „outplacement“-Beratung „aber auch eine Art Reha-Maßnahme, in der sie überhaupt mal wieder das reale Leben kennenlernen“, witzelt ein Hamburger Personalberater. „Viele Führungskräfte wissen doch gar nicht mehr, wie man ein Zugticket löst oder ein Telefon anmeldet.“ Denn mit dem alten Job ist auch die Sekretärin dahin.
Und dieser Abstieg schmerzt. In keinem anderen Berufsfeld als dem der Manager ist es daher so wichtig, den Schein bedeutsamer Geschäftigkeit zu wahren und sich die Arbeitslosigkeit nach außen nicht anmerken zu lassen. Wer nichts anderes mehr findet, versucht sich mitunter als „selbständiger Unternehmensberater“. „Gerade ältere Führungskräfte um die 50 müssen sich oft darauf einstellen, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen“, so Göschel von der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung. Manchmal bieten Firmen ihren ausgeschiedenen Führungskräften für eine Übergangszeit noch einen Beratervertrag. Mit selbständiger Tätigkeit kann so „eine gewisse Zeit der Arbeitslosigkeit überbrückt werden“, erläutert Weirather vom BDU. Die Zahl der freiberuflichen Unternehmensberater ist nach Einschätzung des BDU im vergangenen Jahr denn auch merkbar gestiegen.
Mitunter aber ist auch die Flucht in die Selbständigkeit aussichtslos, weil die Kräfte des Kandidaten dafür nicht mehr reichen. „outplacement“-Berater schwenken dann auf die psychosoziale Betreuung um und helfen, wenigstens noch ehrenamtliche Felder für neuen Lebenssinn zu erschließen. Weirather: „Das können beispielsweise Tätigkeiten in Verbänden sein oder auch in der Kirche.“
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