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Arbeitslose auf der Suche Das Buch mit sieben Siegeln

■ Juristendeutsch ist für Ostdeutsche nur schwer zu entziffern

Berlin. „Antragsrecht auf Altersübergangsgeld“, „Arbeitsvertragsfreiheit“, „Rentenanpassungssatz“ — das Juristendeutsch ist für viele ostdeutsche Arbeitslose ein Buch mit sieben Siegeln. Im Ostteil Berlins bieten elf Beratungsstellen des Arbeitslosenverbandes Hilfe an. In der Hausburgstraße im Berliner Stadtbezirk Friedrichshain gibt es den „Treff Hausburg“. In die beiden Beratungszimmer, den Klubraum und die kleine Bibliothek mit Informationsmaterial kommen manchmal bis zu 20 Menschen am Tag. „Und dabei wissen viele immer noch nicht, daß es uns überhaupt gibt“, sagte die Soziologin Irina Pfützenreuter. Sie kennt die Lage der Betroffenen aus eigener Erfahrung: Bevor sie mit der Beratung begann, war sie fünf Monate lang ohne Arbeit. Die Probleme der Arbeitslosen seien individuell und grundverschieden. Am schlimmsten sei die Resignation der Menschen. Einer der Ratsuchenden ist Manfred L. aus Ost-Berlin. Der 57jährige, der aus Angst vor dem Arbeitsamt seinen vollen Namen nicht nennen wollte, arbeitete bis kurz vor der Währungsunion am 1. Juli vergangenen Jahres als Bauingenieur. Dann wurde er „abgewickelt“ — verlor also seine Arbeit. Seit Monaten studiert er die Paragraphen des ehemals westdeutschen, nun gesamtdeutschen Arbeitsgesetzbuches. „Jeden Satz muß ich fünfmal durchlesen, bis ich ihn verstehe“, klagte Manfred L. Von der Beratung beim Arbeitsamt ist der Ostberliner alles andere als begeistert: „Das war einfach grauenvoll.“ Ständig habe er Formulare ausfüllen müssen, die Information war mangelhaft. Ordentliche Auskunft über seine rechtliche Situation habe er nur im „Treff Hausburg“ bekommen. Gespräche sollen nicht die einzige Form der Hilfe bleiben. Die Beratungsstellen wollen Selbsthilfegruppen gründen, Konversationskurse für Arbeitslose anbieten oder Anlaufstelle für die Kinder der Betroffenen sein. ap

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