Arbeiterprotest in Großbritannien: Wilde Streiks mit xenophoben Tönen
Auf der Insel hageln die Proteste gegen eine Firma aus Italien, die für den Bau einer Entschwefelungsanlage keine Briten anstellen will, weil sie zu teuer sind. Die Regierung möchte schlichten.
Mehr als 3.000 Arbeiter streiken seit dem Wochenende in elf britischen Ölraffinerien und Kraftwerken in ganz Großbritannien. Sie protestieren dagegen, dass für den Bau einer Entschwefelungsanlage in North Killingholme in der englischen Grafschaft Lincolnshire keine britischen Arbeiter eingestellt werden. Um das 200 Millionen Pfund teure Bauprojekt des französischen Total-Konzerns hatten sich fünf britische und zwei ausländische Firmen beworben. Den Zuschlag erhielt die italienische Firma Irem, und diese will die 400 Jobs an Arbeiter aus Italien und Portugal vergeben, weil sie billiger sind.
Die Proteste in North Killingham begannen bereits am Mittwoch. Der Betriebsratsvorsitzende Kenny Ward sagte den streikenden Arbeitern, sie müssen "gegen raffgierige Arbeitgeber" zusammenstehen. "Ich bin ein Opfer, ihr seid Opfer, Tausende in unserem Land sind Opfer dieser Diskriminierung, diesem Betrug am britischen Arbeiter."
Am Freitag kam es zu spontanen Solidaritätsstreiks in Nordirland, Wales und Schottland. Am Montag entscheiden die Arbeiter der Atomanlage Sellafield, ob sie sich ebenfalls beteiligen.
Die Streikenden haben sich ihren Kampfslogan vom britischen Premierminister Gordon Brown ausgeliehen. Der hatte auf seiner ersten Parteitagsrede nach seinem Amtsantritt 2007 die Parole ausgegeben: "Britische Jobs für britische Arbeiter." Brown sagte gestern in einem Interview mit der BBC, er verstehe die Sorgen der Menschen, aber "spontane Arbeitskämpfe sind nicht das richtige Mittel".
Er fügte hinzu: "Die Maßnahmen, die wir auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ergriffen haben, sollen Arbeitsplätze erhalten. Wir tun gegen die Arbeitslosigkeit, was wir können." Im Übrigen habe man seinen Slogan vor anderthalb Jahren falsch verstanden. Er wollte damals ausdrücken, dass man britische Arbeiter vernünftig ausbilden müsse, damit sie bessere Chancen auf Jobs haben.
Wirtschaftsminister Peter Mandelson warnte vor Protektionismus. "Es wäre ein großer Fehler, sich von der Regel zu verabschieden, wonach britische Firmen in Europa und europäische Firmen in Großbritannien agieren dürfen", sagte er.
Gewerkschaftssprecher Bobby Buirds sagte: "Wir argumentieren nicht gegen ausländische Arbeiter, sondern gegen ausländische Firmen, die britische Arbeiter diskriminieren. Das ist ein Kampf um Arbeit. Es ist ein Kampf für das Recht auf Arbeit in unserem eigenen Land. Das ist nicht rassistisch."
Doch die Auseinandersetzungen nehmen immer mehr ausländerfeindliche Züge an. Die rechtsextreme British National Party (BNP) hat eine Delegation nach North Killingholme entsandt, um unter den Streikenden für Unterstützung zu werben. Die BNP hofft angesichts der Rezession, von der Großbritannien stärker als andere Industrienationen betroffen ist, auf einen Durchbruch bei der Europawahl im Sommer. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 2 Millionen, die Wirtschaft wird in diesem Jahr um 2,8 Prozent schrumpfen, fast jeder zweite britische Arbeiter bangt um seinen Job.
Der linke Labour-Abgeordnete John Cruddas warnte, es bestehe die Gefahr, dass "Prestigeprojekte wie die Olympischen Spiele 2012 in London" von ähnlichen Protesten lahmgelegt werden, wenn die Regierung jetzt nicht handele. Auf den Olympia-Baustellen seien nur 63 Prozent der Arbeiter britisch. Die Regierung beauftragte am Wochenende unabhängige Schlichter. Sie sollen die Vorwürfe untersuchen, wonach britische Arbeiter illegal von den Jobs in North Killingholme ausgeschlossen wurden.
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