: Arbeiter wollen höhere Löhne
Die Stuttgarter Bezirksleitung wird wie bereits in der Vergangenheit auch in dieser Tarifrunde wieder eine Vorreiterrolle übernehmen. Hier sitzen die wichtigen Zulieferbetriebe der Automobilindustrie, die im Arbeitskampf 1984 bestreikt wurden und deren Engpässe dann die ganze Branche lahmlegten. Hier sind aber auch jene mittelständischen Maschinenbaubetriebe angesiedelt, auf die das vom jetzigen Frankfurter Tarifexperten und Steinkühler -Vize Zwickel öffentlich enwickelte „Wechselstreik„-Konzept paßt. Von einem möglichen Streik will man in Stuttgart allerdings vorerst nichts wissen - auch wenn allen klar ist, daß eine der härtesten und längsten Tarifrunden bevorsteht. Daß die Metaller einen großen Arbeitskampf nicht gern sähen, hat einen triftigen Grund: der geänderte Paragraph 116 des Arbeitsförderungsgesetzes, der bei den Beschäftigten die berechtigte Angst entstehen läßt, im Falle eines Streikes ohne Geldbezüge dazustehen.
Zwei Dinge muß die IG Metall leisten, nämlich „den Leuten die Angst nehmen und klarmachen, daß die aufgestellten Forderungen auch durchsetzbar sind“, sagt die Tarifsekretärin des Bezirks, Sibylle Stamm. Noch ist die Begeisterung in den Betrieben nicht hochgeschlagen. Die richtige Entschlossenheit fehlt noch. Im Unterschied zu der Forderung nach Aufrechterhaltung des freien Wochenendes und hohen Lohnabschlüssen stößt die Forderung nach der endgültigen Durchsetzung der 35-Stunden-Woche auf Skepsis.
Die Interessenspaltung ist bezeichnend: Insbesondere in Elektrobetrieben, in denen das Lohnniveau deutlich niedriger als in der übrigen Metallindustrie liegt, und in ökonomischen Problemregionen mit relativ hoher Arbeitslosigkeit wie etwa im Raum Mannheim dominiert die Lohnforderung. In Stuttgart, wo die höchsten Löhne bezahlt werden, stößt dagegen die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung auf mehr Akzeptanz. In der Betriebsversammlung im Untertürkheimer Daimler-Benz-Werk etwa haben sich die Arbeitnehmer deutlich hinter diese Forderung gestellt. Daß ein Großteil der betrieblichen Funktionsträger die Akzentsetzung auf der populäreren Lohnforderung gern sähe, hat aber auch etwas mit den im Frühjahr stattfindenden Betriebsratswahlen zu tun.
Warum eine weitere Arbeitszeitverkürzung auf noch erhebliche Skepsis stößt, liegt aber auch an der zunehmenden Leistungsverdichtung in den Betrieben, die durch die Rationaliserungswellen der letzten Jahre vorangetrieben wurde. Es wird befürchtet, daß der Druck mit weiterer Arbeitszeitreduzierung noch zunimmt. Die Widerstände sind in den Betrieben besonders groß, in denen seit Jahren Überstunden gefahren werden. Hier will die IG Metall ansetzen: Eine breitangelegte Kampagne zum Überstundenstopp ist bereits angelaufen. Der Stuttgarter Tarifvertragsentwurf sieht vor, einer weiteren Leistungsverdichtung durch personelle Mindestbesetzungen in den Abteilungen entgegenzuwirken. Mit „Aktionsausschüssen“ auf betrieblicher und örtlicher Ebene will die IG Metall in den nächsten Monaten noch einmal ihre Mitglieder auf die Forderungen einschwören. 10.000 Betriebsräte und Vertrauensleute wurden im Südwesten bereits durch zweitägige Schulungen geschickt und mit Argumenten munitioniert. Die Arbeitgeber in Baden -Württemberg haben das Tarifpaket bereits als einen „Katalog von Horrorforderungen“ zurückgewiesen. Sie lehnen „generelle Arbeitszeitverkürzungen“ als „falschen Weg“ ab. Der VMI -Vorsitzende Hundt erklärte, der „Verteilungsspielraum“ solle „voll für Lohnerhöhungen verwendet werden“.
Erwin Single
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