: Arbeit unter Psychostress
Psychische Erkrankungen führen vermehrt zu Krankmeldungen. Angeregt durch die Bertelsmann-Stiftung befassen sich NRW-Unternehmen verstärkt mit der seelischen Gesundheit der Mitarbeiter
VON Salvio Incorvaia
Immer mehr Unternehmen klagen über Produktionsausfälle versursacht durch psychisch erkrankte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Depressionen und Suchterkrankungen gehören inzwischen zur vierthäufigsten Ursache für Mitarbeiterfehlzeiten in den Dienstleistungs- und Produktionsbetrieben in Nordrhein-Westfalen.
„In unseren Firmen verzeichnen wir bei vielen Mitarbeitern immer wieder Motivationsprobleme aufgrund psychischer Belastung“, sagt Hans-Wilhelm Köster, Geschäftsführer der Landesvereinigung der Arbeitgeberverbände in NRW. Dies senke die Produktivität der Firmen und bedeute finanzielle Verluste für die Unternehmen. Seit über zehn Jahren werden immer mehr Firmen mit dieser Entwicklung konfrontiert. Nun wollen sich die Arbeitgeberverbände dem Thema intensiver zuwenden.
Aktueller Anlass für die Offensive der Arbeitgeberverbände ist das Anfang März von der Bertelsmann-Stiftung sowie der Berufsgenossenschaft Druck- und Papierverarbeitung herausgegebene Buch „Psychische Gesundheit – ein Baustein des erfolgreichen Unternehmens“.
Der Ratgeber will bei Arbeitgebern dafür werben, psychische Krankheiten am Arbeitsplatz zu vermeiden. Das Buch richtet sich vorwiegend an kleine und mittlere Unternehmen.
Das verwendete statistische Datenmaterial von Krankenkassen und Rentenversicherungen hatte ergeben, dass psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz mittlerweile Milliardenkosten für Arbeitgeber und die Sozialsysteme produzieren: So hat zwischen 1997 und 2001 die Zahl der Fälle von Arbeitsunfähigkeit in den Betrieben aufgrund mentaler Erkrankungen um fünfzig Prozent zugelegt. Die wirtschaftlichen Verluste sollen bereits im Jahr 2001 bei knapp drei Milliarden Euro gelegen haben, Tendenz steigend. Im Jahr zuvor sollen es fast zwei Milliarden Euro gewesen sein.
„Der Erfolg eines Unternehmens hängt mit der psychischen Gesundheit seiner Mitarbeiter zusammen“, sagt Detlef Hollmann. Der Projekt-Manager der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh weist darauf hin, wie wichtig es sei, den Mitarbeitern die Bedeutung ihrer Arbeit zu verdeutlichen und Zusammenhänge zwischen dem Produkt und ihrem Wirken aufzuzeigen. Er kritisiert zudem die mangelnde Weiterqualifizierungsmöglichkeiten von Mitarbeitern in vielen Betrieben. Monotonie und Langeweile prägten immer noch die Arbeitsabläufe der Beschäftigten in niedrigeren Positionen.
„Es muss erst ein richtiges Bewusstsein für dieses Thema bei den Arbeitgebern geschaffen werden“, sagt Hollmann und rät zu Veränderungen in den einzelnen Arbeitsschritten der Betriebsbelegschaften: „Entscheidend sind dabei weitere Gestaltungsspielräume in den einzelnen Aufgabenbereichen sowie regelmäßige, zwischenmenschliche Gespräche von Arbeitgeber zu Arbeitnehmer“. Es müsse sich schnell etwas ändern, sonst werden die Ausfallquote der Firmen und die Kosten der Sozialsysteme weiter steigen.
Dies gilt inzwischen nicht nur für die Belegschaft in der Produktion: Auch im mittleren und höheren Management verbreiten sich psychische Krankheiten durch zunehmenden Stress. „Auf allen Kompetenzebenen haben die psychischen Erkrankungen seit den 1990er Jahren in den Unternehmen zugenommen“, sagt Herbert Weisbrod-Frey, Leiter des Bereichs Gesundheitspolitik der Dienstleistungs-Gewerkschaft Ver.di. Ein Grund: Fast jeder Arbeitsplatz sei mittlerweile unsicher geworden.
Regelmäßige Umstrukturierungen in den Firmen stehen besonders im mittleren Management auf der Tagesordnung. Weisbrod-Frey sagt: „Sehr oft werden klassische Krankheitsbilder erst durch psychische Ursachen produziert, weil die Anforderungen für viele Mitarbeiter immer härter werden.“ Den Mitarbeitern mangele es vor allem an Sicherheiten für die Zukunft und einem sozialen Umfeld an ihren Arbeitsplätzen.