Aramäer zeigen Repressalien gegen ihr Kloster auf: "Wir sind auch ein Volk"
Die in Deutschland lebenden Aramäer verlieren mit ihrer Sprache ihre Identität, fürchtet Simon Can. Deshalb hat er die "Stiftung zum Erhalt und zur Förderung des aramäischen Kulturerbes" gegründet.
Ethnische und religiöse Minderheiten haben es in der Türkei nicht leicht - aber auch Auswandern löst die Probleme nicht immer einfach. Die Aramäer sind eine christliche Minderheit, die im Südosten der Türkei und im Norden Syriens ansässig ist. Anders als die Armenier, die Griechen und die Juden sind sie in der Türkei nicht als Minderheit anerkannt. Das bedeutet unter anderem, dass ihre Sprachen, das Altaramäisch, das als Sprache Jesu Christi gilt, und das Turoyo als älltägliche Verkehrssprache, nicht unterrichtet werden dürfen. Aber auch in der Diaspora fällt der über die ganze Welt verstreuten Auswanderercommunity der Erhalt ihrer Sprachen nicht leicht - es fehlt an Unterstützung.
In der Türkei geraten die Aramäer derzeit erneut unter Druck. Gegen ihr Kloster Mor Gabriel im Tur Abdin, dem alten Siedlungsgebiet der Aramäer in der Nähe der Stadt Midyat am südöstlichen Rand der Türkei im Grenzgebiet zu Syrien und dem Irak, wird ein Prozess geführt, der den dortigen Mönchen sowohl illegale Landnahme wie Missionierung vorwirft. Die Aramäer fürchten, dass dies zur Stimmungmache gegen die wenigen noch verbliebenen Angehörigen ihrer Minderheit dort genutzt werden könnte. Mor Gabriel ist eines der ältesten Klöster der Welt.
Im Tur Abdin selbst leben heute nur noch etwa 3.000 aramäische Christen. Viele haben das Land verlassen und leben im Exil. In Deutschland leben cirka 100.000 Aramäer, etwa 5.000 davon in Berlin. Sie rufen am Sonntag zu einer Demonstration gegen die Repressalien gegen ihr Kloster auf. Beginn ist um 13 Uhr am Lustgarten, die Route führt zum Brandenburger Tor. AWI
Taz: Herr Can, wie viele Sprachen sprechen Sie?
Simon Can: Ich spreche Aramäisch, das heißt, Altaramäisch kann ich lesen und übersetzen, und ich spreche unsere Verkehrssprache Turoyo. Turoyo und Deutsch sind die Sprachen, mit denen ich aufgewachsen bin, meine Muttersprachen also. Englisch und Französisch habe ich in der Schule gelernt. Türkisch spreche ich gebrochen, und ein wenig Latein.
Sie leben in Deutschland, seit Sie drei Jahre alt sind, haben aber eine Stiftung gegründet, die sich dem Erhalt der aramäischen Sprache widmet. Warum?
Armäer leben hier mittlerweile in der zweiten und dritten Generation. Ich gehöre zur ersten Generation, die hier aufgewachsen ist und nun selbst Kinder hat. Wir spüren, dass wir, wenn wir unsere Sprache verlieren, das Letzte verlieren, was wir noch an aramäischer Identität besitzen.
Geht die Sprache denn verloren? Sie sprechen Sie noch.
Ja, aber viele aus meiner Generation können sich nicht mehr auf Aramäisch unterhalten. Wir bedienen uns der Sprache unserer Gastgeberländer, um miteinander reden zu können. Das bedeutet auch, dass Aramäer, die in unterschiedlichen Ländern in der Diaspora leben, sich nicht mehr miteinander unterhalten können. Wenn wir jetzt nicht eingreifen und das Aussterben unserer Sprache verhindern, werden unsere Kinder es nicht mehr können. Deshalb haben wir die Stiftung gegründet und einen Schwerpunkt auf die Sprache gelegt, weil die Sprache den gemeinsamen Nenner für unseren Zusammenhalt darstellt.
Das passt ja nicht gerade zur Integrationsvorstellung deutscher PolitikerInnen: Die kritisieren, dass viele Einwanderer ihre Muttersprachen eher zu gut pflegten und sie teils in der dritten Generation noch besser sprächen als Deutsch.
Ja, den Satz kenne ich auch: Ihr müsst in erster Linie Deutsch sprechen. Aber das ist nicht unser Problem: Wir können ja Deutsch! Unsere Kinder lernen Aramäisch eher als Zweitsprache. Die aramäischen Einwanderer bilden keine Parallelgesellschaft. Wir haben keine Integrationshürden, im Gegenteil, uns fällt die Integration leicht.
Woran liegt das?
Zum einen einfach daran, dass wir wenige sind: Wir können uns gar nicht innerhalb der eigenen Gruppe abschotten. Zum anderen, weil wir aus der Tradition heraus als Christen eine Verbindung zu christlichen Gesellschaften haben. Als wir nach Deutschland kamen, waren wir froh darüber, hier leben zu können. Deshalb haben wir auch keine inneren Hürden, Kontakt zur Gastgebergesellschaft zu pflegen. Im Gegenteil. Das Problem der Aramäer in der Diaspora ist nicht Integration, sondern dass wir uns darüber hinaus bereits in einem Assimilierungsprozess befinden. Deshalb sehen wir die Gefahr, dass wir uns selber irgendwann nicht mehr als Aramäer erkennen, dass wir unsere kulturelle, religiöse, sprachliche Identität aufgeben und in der anderen Gesellschaft aufgehen. Wir haben ja einen großen kulturellen Schatz, der weit zurückgeht: Unsere Sprache ist 3.000 Jahre alt. Wenn wir uns assimilieren, verlieren wir viel mehr als wir gewinnen. Alleine schaffen wir es allerdings nicht. Wir brauchen dabei die Unterstützung unserer Gastgeberländer.
Bekommen Sie die?
Wir haben mit verschiedenen Politikern gesprochen, aber bis jetzt ist nichts Handfestes dabei herausgekommen. Ich hoffe, dass die aktuelle Lage Anlass sein könnte, uns zur Kenntnis zu nehmen. Wir sind auch ein Volk! Es leben hunderttausende Aramäer in europäischen Ländern, aber nirgendwo ist unsere Existenz festgeschrieben. In unseren Pässen steht Türke, Deutscher, Schwede, wir sind auch in der Türkei nicht als Minderheit anerkannt. Wir haben ja keinen Drang zu Autonomie oder ähnlichem, wir möchten nur unbehelligt leben können und als Aramäer wahrgenommen werden.
Am Sonntag demonstrieren Sie, weil Sie das geistige Zentrum der Aramäer, das Kloster Mor Gabriel im Südosten der Türkei, durch einen Prozess in seiner Existenz bedroht sehen. Welche Bedeutung hat das Kloster für hier lebende Aramäer: Ist es geographische Heimat oder eher Symbol des Zusammenhalts?
Mor Gabriel ist mehr als das. Es ist die Wurzel unserer Identität. Wenn man jetzt versucht, eine Einrichtung zu schließen, die allen Widrigkeiten über 1.600 Jahre standgehalten hat, dann fühlen wir, dass das gegen uns gerichtet ist. Seit der Gründung der Türkei hat eine Entvölkerung stattgefunden dort im Tur Abdin: Wo früher hunderttausende Aramäer lebten, sind es jetzt noch cirka 2.000. Es gab und gibt bis heute systematische Vertreibung, und nun versucht man, ein Kloster, das niemanden stört und mit so viel Gefühlen verbunden ist, zu zerstören. Für uns in der Diaspora bedeutet das, ein Zuhause zu verlieren.
Ein symbolisches Zuhause oder tatsächlich der Ort für eine eventuelle Rückkehr?
Dass in den vergangenen Jahrzehnten so viele Aramäer ihre Heimat verlassen haben zeigt, dass sie sich dort nicht entfalten, nicht frei leben können. Wäre das anders, wären nicht so viele gegangen. Aber die Heimat ist nicht nur gefühlsmäßig wichtig. Viele würden gerne zurückkehren. Und es gibt auch den einen oder anderen türkischen Politiker, der eine Einladung an Rückkehrwillige ausgesprochen hat. Aber viele der Familien, die tatsächlich zurückgegangen sind, haben in der Realität unschöne Erfahrungen gemacht.
Wäre eine Rückkehr eine Option auch für Sie?
Unter gewissen Umständen ja.
Welche Umstände?
Solchen, die überall auf der Welt selbstverständlich sind: Wenn meine Kinder dort eine vernünftige Schule oder Universität besuchen könnten, wenn es gute ärztliche Versorgung in der Nähe gäbe. Wenn das Umfeld einigermaßen so wäre, dass man eine Zukunft sehen könnte in der Region.
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