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Arabischer Frühling in TunesienKeine Angst vor den Islamisten

Nein, es droht kein islamistischer Flächenbrand am Südufer des Mittelmeers. Und nein, die tunesischen Islamisten sind keine Gefahr für die Revolution.

Wollen nur spielen: Anhänger der islamistischen Partei Ennahda. Bild: reuters

BERLIN taz | Ein Gespenst geht um in Europa: das Gespenst des Islamismus am südlichen Ufer des Mittelmeers. In Tunesien gewinnt die islamistische Ennahda die ersten freien Wahlen. Im postrevolutionären Ägypten dürften Ende November die Muslimbruder ebenfalls triumphieren, möglicherweise auch ihr Pendant in Marokko eine Woche zuvor. In Libyen verkünden die Revolutionäre die Scharia. Ist der Arabische Frühling des Jahres 2011 im Begriff, den Feinden der Freiheit den Weg an die Macht zu ebnen?

Wer so denkt, fällt auf Propaganda herein. Die Feinde der Freiheit in Nordafrika waren die bisherigen Diktatoren. Die haben Unterdrückung immer damit gerechtfertigt, man müsse islamistische Subversion fernhalten. Sie haben damit den "Westen" jahrzehntelang erpresst und ihre autoritäre Cliquenwirtschaft erhalten. Und sie haben im Kampf gegen die "grüne Gefahr" viel mehr Tod und Elend produziert als ihre Gegner.

Der demokratische Aufbruch in Nordafrika begann nicht 2011, sondern 1988, mit den Jugendrevolten in Algerien, damals noch ein sozialistischer Einparteienstaat. Das Regime der einstigen Befreiungsbewegung FLN (Nationale Befreiungsbewegung) tötete erst Hunderte friedliche Demonstranten und musste dann aufgrund des steigenden Drucks den Parteienpluralismus zulassen.

Ende 1991 gab es freie Wahlen. Als die Islamische Heilsfront (FIS) vor dem Sieg in der Stichwahl stand, sagte das Militär die Wahlen ab, trieb die FIS in den Untergrund und brach damit einen gnadenlosen Bürgerkrieg vom Zaun, bei dem bis zu 150.000 Menschen ums Leben kamen. Dieses Trauma ist übrigens der Grund dafür, warum Algerien dieses Jahr vergleichsweise ruhig blieb.

Wenn Wahlen, dann richtig

Algeriens Militärputsch verzögerte Nordafrikas Demokratisierung um eine Generation, und die Region hat daraus eine Lehre gezogen: Demokratie aufzuhalten, wenn man einmal damit angefangen hat, ist die schlechteste aller Optionen. Wenn Wahlen, dann richtig. Insofern erübrigt sich aus nordafrikanischer Sicht jede Diskussion über "akzeptable" und "inakzeptable" Wahlergebnisse. Das wäre der sichere Weg in den Bürgerkrieg. Den hat Libyen gerade hinter sich, und Tunesien und Ägypten wollen ihn nicht vor sich haben.

Ennahdas Wählern in Tunesien geht es nicht in erster Linie um religiöse Motive. Es geht um die Ablehnung einer diskreditierten kompromittierten Elite, die man jetzt als Opportunisten und Wendehälse wahrnimmt. Man wählt deren Opfer, weil man selbst eines ist. Ennahda darf sich, dank der Unterdrückung durch Ben Ali, mit der Aura des Märtyrers schmücken. Aber sie ist kein Hort der Radikalität. Als ihr Vorbild nennt sie die türkische AKP, ähnlich wie die meisten arabischen Revolutionäre.

Viele ihrer Gegner bezichtigen Ennahda der Doppelzüngigkeit und befürchten, wenn sie einmal an der Macht sei, werde sie ihr wahres illiberales Gesicht zeigen. Dem gilt entgegenzuhalten, dass Ennahda zwar voraussichtlich stärkste Kraft sein wird, aber nicht die Mehrheit der Tunesier hinter sich weiß. Auch Nordafrikas Islamisten haben aus Algerien eine Lektion gelernt: Sie können nicht isoliert gegen die Gesellschaft agieren. Sie sind eine Minderheit.

Konfrontation und Erneuerung

Die Länder Nordafrikas sind jeweils sehr eigen. Tunesien ist eine hochgebildete Gesellschaft mit einer alten Tradition des politischen Liberalismus. Algerien ist ein vom Befreiungskrieg traumatisiertes Land mit einer militarisierten politischen Kultur. Marokko blickt auf eine jahrhundertealte stolze Monarchie und lebt mit einer gelenkten Parteienlandschaft im Schatten des Königsthrons. Libyen hat keinerlei parteipolitische Tradition und seine Erfahrung mit staatlichen Strukturen weitgehend verloren. Ägypten fühlt sich dem Nahen Osten näher als Nordafrika. Von keinem dieser Länder kann man wirklich auf das andere schließen.

Die Tunesier müssen nun entscheiden, wie sie mit ihrem Wahlergebnis umgehen, wie sie innerhalb ihrer neu entstehenden Institutionen die Abwägung zwischen parteipolitischer Konfrontation und Erneuerung im Konsens treffen. Der "Westen" hat sich in Nordafrika jedenfalls diskreditiert. Er soll nun nicht denken, dass seine Mahnungen irgendwen beeindrucken, geschweige denn, dass er irgendein Recht dazu hat, den Revolutionsgesellschaften Vorschriften zu machen.

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15 Kommentare

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  • DP
    Daniel Preissler

    @Marco

    "Also die Islamisten sind zwar per se nicht gefährlich, aber trotzdem kann man froh sein, dass sie nicht die Mehrheit der Gesellschaft hinter sich wissen.

    Ja, das ist sehr stringent argumentiert, lieber Dominic Johnson.

     

    Warum jemand die Wahlen haushoch gewinnen kann, der angeblich die Mehrheit der Gesellschaft gegen sich hat, bleibt auch Ihr Geheimnis."

     

    Sobald mehr als 3 Parteien in einem Parlament vertreten sind, ist das sehr gut möglich (streichen Sie das "haushoch", das sowieso nicht stimmt bei 30%).

     

    Sollte Ihnen das, sowie der erste von Ihnen angesprochene Punkt nicht einleuchten, so halte ich es zwar für richtig für Ihr Wahlrecht zu kämpfen, hoffe aber gleichzeitig, dass Sie sämtliche partizipatorisch wichtigen Momente verschlafen.

     

    DP

  • DP
    Daniel Preissler

    Kabal, ein selten schwacher Kommentar:

    "3) Die Islamisten seien eine Minderheit und wüssten dies. Nun: Die NSDAP hatte im Januar '33 auch nur eine Minderheit der Wähler hinter sich. Eine Tyrannei, welcher Art auch immer, ist aber nicht auf Mehrheiten angewiesen. Eine duldende Masse tut es auch."

     

    Die NSDAP hatte 44% und konnte mit der DNVP (m.W. 8%) eine Mehrheit und Regierung bilden. Die NSDAP war somit zum einen deutlich stärker als die Islamisten in Tunesien (ich glaube französische Faschisten kamen zu der Zeit eher auf deren Prozentsatz), zum andern konnte sie mit ihrer Reg. eben auf eine Mehrheit der zur Wahl gegangenen Bevölkerung bauen (von wegen "duldenden Masse").

    Desweiteren verbietet sich der Vergleich rein inhaltlich.

     

    Dass eine Tyrannei nicht auf Mehrheiten angewiesen sei, stimmt prinzipiell, ist aber hier völlig zusammenhangslos und logikfrei angefügt - sprich: Propaganda.

  • FM
    Franka Meier

    Danke an den Autor - ein schöner Artikel, der endlich mal Klartext spricht. Für uns im Westen scheint Demokratie (bzw. für unsere Regierungen und die der USA) nur eine Demokratie zu sein, wenn ihnen gefällige Parteien (sprich: Keine islamischen Parteien) gewählt werden. Witzigerweise sehen das auch einige Tunesier so: Nach dem Wahlsieg von Ennahda protestierten einige (Bedeutung kann ich nicht wirklich abschätzen, aber ich schätze das es kleinere Gruppen sind) kleine Grüppchen lautstark gegen Ennahda - sie würden das Ergebnis nicht akzeptieren. Auf die Frage eines Anwesenden hin (war glaub ich ein Journalist) ob sie denn nicht demokratische Wahlen gewollt hatten (mit dem Hinweis, dass Demokratie nunmal auf der Entscheidung des Volkes basiere), erzürnten sich die Protestierenden und griffen dem jungen Herren in die Kamera (Er möge doch das Ding ausmachen). Ich hoffe, dass bald Ruhe einkehr, sich die gewählten Parteien auf das Schreiben einer gerechten und stabilen Verfassung konzentrieren und im Folgejahr erneut zur Wahlurne gebeten wird...

  • C
    Clemens

    Ihre Berichterstattung widerspricht einem vor 2 Tagen ausgestrahlten Bericht bei 3sat 'quer'. Dort berichteten Aktivisten, die für die Trennung von Staat und Kirche eintreten, von massiver Einschüchterung von Körperverletzung bis hin zu Morddrohungen seitens der Islamististen. Ein tunesisches Ferhsehstudio sieht sich gezwungen, den Betrieb einzustellen, nachdem es einen religionskritischen Beitrag gesendet hat und Mitarbeiter von Islamisten angegriffen, Teile des Studios verwüstet wurden. Bei dieser Informationslage kann ich ihre Berichterstattung nicht nachvollziehen.

  • M
    Marco

    Also die Islamisten sind zwar per se nicht gefährlich, aber trotzdem kann man froh sein, dass sie nicht die Mehrheit der Gesellschaft hinter sich wissen.

    Ja, das ist sehr stringent argumentiert, lieber Dominic Johnson.

     

    Warum jemand die Wahlen haushoch gewinnen kann, der angeblich die Mehrheit der Gesellschaft gegen sich hat, bleibt auch Ihr Geheimnis.

  • J
    Jörg

    Dass man sich nicht einzubilden braucht, dass die eigene Meinung irgendwen beeindrucken muss, heißt ja noch lange nicht, dass man keine haben und selbige nicht in Wort, Schrift und Bild frei äußern darf.

    Meine ist zum Beispiel diese:

     

    "Man wählt deren Opfer, weil man selbst eines ist."

    Nun.

    Wenn das bedeutet, dass man bereit ist, auf die Inhalte zu scheißen, dann zeugt das nicht eben von demokratischer Reife.

    "Der Feind meines Feindes ist mein Freund".

    Das mag ja ab und an mal unter einzelnen, strategischen Gesichtspunkten legitim sein.

    Aber um eine Wahlentscheidung darauf aufzubauen?

    Armselig.

     

    Das religiöse politische Strömungen (von Parteien und Regierungen ganz zu schweigen) nicht per se gefährlich sind, darf außerdem ganz grundsätzlich bezweifelt werden.

    Hierzulande regen wir uns - mit Fug und Recht! - über Kirchensteuer, konfessionellen Religionsunterricht und Gottesbezug in der europäischen Verfassung auf.

    All das gilt bereits zu recht als rückständig und gefährlich.

    Und Nordafrika sollen religiöse Parteien der Hort der Demokratie sein?

    Hm.

    Grübel....

     

    Man verstehe mich nicht falsch; "Wenn Demokratie, dann richtig" unterschreibe ich voll und ganz.

    Erst nach Wahlen schreien und deren Demokratiehaftigkeit dann davon abhängig machen, ob einem das Ergebnis passt, ist das Letzte, keine Frage.

    (genauso wie bei Volksentscheiden, liebe Anna Lehman, aber das gehört nicht hierher;scnr)

     

    Das heißt aber noch lange nicht, dass auch Ergebniss demokratischer Wahlen nicht falsch, nicht zum Kotzen, nicht verachtenswert sein können und nicht massiv gegen die Wähler sprechen können.

    Da braucht man gar nicht in islamische Länder zu schauen, um Beispiele dafür zu finden; da reicht doch schon, dass das Wahlvolk bei der letzten Bundestagswahl das Atombündnis Schwarz-Gelb an die Macht gebracht hat. Ganz zu schweigen davon, dass Hitler durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen ist.

    Usw. Da möge sich jeder sein Lieblingsbeispiel aussuchen.

  • DP
    Daniel Preissler

    einfach gut! wie wir es von Herrn Johnson hewohnt sind.

  • DJ
    Dirk Jäckel

    Hmm, frage mich, ob mein Kommentar nach mehreren Stunden doch noch freigeschaltet wird ober ob die taz meinen skeptischen Beitrag mal wieder zensiert. In jedem Fall eine bemerkenswerte Diskussionskultur!

  • K
    Kabal

    Ganz schwacher Artikel.

     

    Natürlich ist die Entwicklung in den arabischen Staaten kaum vorherzusagen. Einen islamistischen Flächenbrand kann man noch nicht ernsthaft vorhersagen - abschreiben aber kann man ihn genau so wenig. Entsprechend schwach bis unsinnig fallen die Argumente des Artikels aus, der sich größtenteils gar nicht mit seinem eigentlichen Thema befasst.

    1) Die gestürzten Diktatoren seien "die Feinde der Freiheit" gewesen. Das sagt nun gar nichts aus. Wer nicht über ein geschlossen manichäisches Weltbild verfügt, weiß, dass die Freiheit viele Feinde hat.

    2) Die Wähler der Islamisten seien selbst keine solchen. Da frage ich mich zunächst, woher der Verfasser das weiß. Kann er Gedanken lesen? Seriöse sozialwissenschaftliche Untersuchungen dazu werden wohl kaum vorliegen. Außerdem: Wenn die Islamisten erst mal an der Macht sind - was scheren sie da die Motive ihrer Wähler?

    3) Die Islamisten seien eine Minderheit und wüssten dies. Nun: Die NSDAP hatte im Januar '33 auch nur eine Minderheit der Wähler hinter sich. Eine Tyrannei, welcher Art auch immer, ist aber nicht auf Mehrheiten angewiesen. Eine duldende Masse tut es auch.

     

    In weitesten Teilen hat der Artikel sein Thema schlicht verfehlt.

  • JC
    Johnny Cynic

    Natürlich hat "der Westen" gefällist zu schweigen, sich zu schämen und... zu zahlen.

  • R
    realist

    was ist den das für eine bescheuerte logik ?(oder schlecht informiert)

    Die türkische AKP ist keinesweg eine gemässigte partei. Wenn die das Vorbild ist dann gute nacht.

     

    Aber, eines darf man nicht vergessen. Es ist der ihr Land. In erster Linie sollte nicht einmischung gelten. Wenn jemand in einer steinzeitlichen Gesellschaftsorder Leben will dann ist das sein gutes recht.

     

    Jetzt mal ehrlich, ein Land regiert von leuten die an Götter glauben, also da soll es einem nicht mulmig werden? Sonderlich rationel können die nicht sein.

  • E
    elchico

    "Dem gilt entgegenzuhalten, dass Ennahda zwar voraussichtlich stärkste Kraft sein wird, aber nicht die Mehrheit der Tunesier hinter sich weiß."

     

    Die Ennahda hat bereits angekündigt, "ihre Mitglieder auf der Straße zu aktivieren", sollte sie von einer Regierung ausgeschlossen werden.

     

    Nordafrikas Islamisten haben ihre Lektion eben NICHT gelernt!

  • FV
    Franz von Hahn

    In der CDU waren nach dem Krieg auch partiell Typen mit abgefahrenen Thesen unterwegs und Adenauer selbst schwebte zeitweilig ein westlicher katholischer Staatenbund mit Frankreich, ohne Preußen vor. Wenn wir uns das Ergebnis anschauen, sollte das etwas beruhigen.

  • M
    Martin

    Wenn wir den Bayern die CSU erlauben, müssen wir auch mit einer arabischen CSU unseren Frieden finden.

    Das beste wäre natürlich, wenn man einfach per Gesetz alle Spinner und Fanatiker verbietet.

  • DJ
    Dirk Jäckel

    Dieselbe Naivität der Linken wie 1979 beim Sturz des Schah. Unfassbar.