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Archiv-Artikel

Appetit? Berlin ist eine Messe wert! Der Blick richtet sich in diesem Jahr nach Osten. Die heimische Flaute ist hingegen kein Thema

Zum 68. Mal findet in Berlin die Internationale Grüne Woche statt. Sie ist das zentrale Ereignis für landwirtschaftliche Erzeuger, Ernährungsindustrie und Verbraucher. Mit ihren 1.500 Ausstellern aus rund 60 Ländern gibt es weltweit keine vergleichbare Messe.

Die diesjährige Veranstaltung findet in wirtschaftlich schwierigen Zeiten statt. Die Ernährungsindustrie, Deutschlands viertgrößter Industriezweig, musste im ersten Halbjahr 2002 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen Umsatzrückgang um nominal 0,6 Prozent auf 61,6 Milliarden Euro hinnehmen. Real betrug das Minus sogar 0,9 Prozent. Der Hauptgrund für den Umsatzrückgang ist die allgemeine Kaufzurückhaltung der heimischen Verbraucher. Eine Konjunkturstütze für die Branche war dagegen der Export. Er stieg wie schon in den Vorjahren im angegebenen Zeitraum um 2,9 Prozent auf rund 11 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Anteil am Gesamtumsatz in Höhe von 17,8 Prozent.

Die wirtschaftlich schlechte Lage der Nahrungsmittelwirtschaft spiegelt sich kaum im Veranstaltungskonzept wider. Zumindest gilt dies für das Programm der durchschnittlichen Messebesucher, die in der Regel durch die Hallen flanieren, um die Welt in kleinen Häppchen zu sich zu nehmen. Und im Gegensatz zum Alltag, der unter dem Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse zusehends auf billig getrimmt wird, lassen sich die Gäste den Messebesuch einiges kosten. 164 Euro gaben sie im letzten Jahr im Durchschnitt pro Kopf aus.

Für ihr Geld bekommen die zu erwartenden 450.000 Verbraucher kulinarische Kostproben aus aller Herren Länder sowie ein breit angelegtes Unterhaltungsprogramm, das von sachlicher Information bis zur Blödelei reicht (siehe Seite II). Dabei geht es längst nicht nur um Landwirtschaft und Ernährung. Wer seinen nächsten Urlaub auf dem Land inmitten von Nutztieren auf einem Bauernhof verbringen will, findet ein reichhaltiges Informationsangebot. Denn die Grüne Woche berücksichtigt, dass immer weniger landwirtschaftliche Betriebe allein von ihrem Kerngeschäft leben. So behandelt die Messe unter dem Funkturm eben auch Themen wie Freizeit auf dem Lande, Gartenbau, Angeln, die Welt der Blumen oder auch Ziertiere. Manch Aussteller drückt sein ureigenstes Thema in die Hallen. So erklärt sich Timbersports, neudeutsch auch „Baumfällen“ genannt.

Während sich der Trend zur Globalisierung der Ernährungsindustrie in den Messehallen nur implizit spiegelt, bekommt ihre ungleiche Schwester, die Regionalisierung, mehr Kontur. Sie zeigt sich darin, dass immer mehr Bundesländer eigene Hallen belegen. Doch auch diese Länder verzichten nicht darauf, sich gleichzeitig unter dem Dach der Centralen Marketing-Gesellschaft (CMA) zu präsentieren. Diese übermächtige Organisation des konventionellen Anbaus verantwortet wie in jedem Jahr den „Marktplatz für Genießer“.

Wenn in den Hallen Jubel und Trubel herrscht, findet in den Räumen des ICC in ruhigerer Atmosphäre ein umfassendes Rahmenprogramm statt, das sich in erster Linie an Fachbesucher wendet. Ein thematischer Schwerpunkt der diesjährigen Messe ist die mittlerweile festgeklopfte Osterweiterung der Europäischen Union, mit der sich für die Produzenten in Ost und West wie auch für die heimischen Verbraucher völlig neue Perspektiven ergeben (siehe Seite III). Die Grüne Woche ist dabei ein Testmarkt für die osteuropäischen Länder. Sie können ihre Erzeugnisse dem Verbraucher präsentieren und in Expertengesprächen abschätzen, inwieweit sie mit den jetzigen EU-Ländern konkurrenzfähig sind. RICHARD ROMAN