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Apokalypse? Ach was: Zirkus!

■ Zum Auftakt des Feuer-und-Schrott-Festivals in der Berliner Arena las Kain Karawahn am Mittoch Mythen aus Madagaskar, und D.N.T.T. reiste durchs All

Unerwartet beschaulich geht es los: „Ich heiße Kain Karawahn und zünde eine Kerze an“, reimt der Berliner Performer, der schon beim ersten Feuer-und-Schrott- Festival, das 1992 auf dem Marx- Engels-Platz stattfand, das Vorprogramm für D.N.T.T. bestritt. Diesmal, in der weitläufigen Halle der Arena, einem ehemaligen Busdepot an der Grenze zwischen Treptow und Kreuzberg, will er wissen, ob es im Internet brennen kann und wieso man Daten löscht. Eine Antwort bleibt er schuldig, doch dafür erzählt er eine Geschichte aus Madagaskar, die vom Ursprung des Feuers, vom Kampf zwischen Donner und Flammen und vom Entstehen der Vulkane handelt.

Das Publikum murrt ein wenig angesichts der Feuerprosa; offensichtlich hat man den Thrill echter Flammen erwartet. Die kommen dann auch, als Karawahn seine „Feuerrealarbeit“ vorstellt. Er zündet fünf Bälle an, die von der Decke der weitläufigen Halle hängen. Sie beginnen zu kreisen, ziehen die Flammen wie einen Schweif hinter sich her, verheddern sich und lösen sich wieder, bis sie langsam verlöschen: ein schönes Bild. Neben Karawahn und der 1989 gegründeten Gruppe D.N.T.T. werden bei dem zehntägigen Festival unter anderem das Berliner RA.M.M.-Theater mit „Short Shocks“ und die Frankfurter Gruppe Antagon mit „Schreie Niemandsland“ vertreten sein. Die katalanische Gruppe La Fura dels Baus mag als Vorbild dienen, denn auch dort geht es um ein Theater, das einen körperlichen Angriff auf den Zuschauer vortäuscht. Das simulierte Überlebenstraining sorgt für wohlige Angstgefühle und beschleunigten Herzschlag. Die Trennung von Bühne und Zuschauerraum ist aufgehoben, das Publikum wird ins Geschehen eingebunden, und für einen Moment scheint vom Theater tatsächlich eine Provokation auszugehen, der man sich dankbar aussetzt. Doch schon beim zweiten Mal weiß man, was kommt, und die Schocktechniken wollen nicht mehr wirken.

Nach einer „pyro-akrobatischen Performance“, mit der D.N.T.T. vor vier Jahren auf dem Marx-Engels-Platz gastierte, ist „F 88“ die neue Produktion der inzwischen auf 40 Mitglieder angewachsenen Truppe. Auch diesmal steht am Anfang eine Warnung. „Für körperliche, seelische und andere Folgen“ übernimmt D.N.T.T. keine Verantwortung. Dabei kommt „F 88“ über weite Strecken ganz harmlos daher. Vor allem kann sich die Inszenierung nicht recht entscheiden, ob sie eine Geschichte erzählen oder eine lose Collage aus artistischen Highlights vorführen will. Zunächst scheint sich ein Plot zu entspinnen, doch der zerfasert bald. Was dann kommt, ist eine Folge unzusammenhängender Episoden, die sich zwischen fernen Urzeiten und düsteren Zukunftsvisionen bewegen: eine Art Science-fiction-Theater, das seine Akteure durchs All irren läßt und dessen Aliens die Gestalt stählerner Sauriermarionetten annehmen. Wie in jüngeren Hollywood-Produktionen dient das Handlungsgerüst vor allem dazu, einen Special effect nach dem nächsten zu präsentieren. Dabei greift D.N.T.T. tief in die Trickkiste, und man sieht, daß ein großer Teil der Akteure aus dem Straßentheater und der Akrobatik kommt, Körperpyramiden werden gebaut, ein Wasserballett tänzelt – wenn auch nicht ganz synchron. Aus Schrott zusammengeschweißte Skulpturen werden in grüne Flammen getaucht, und schließlich gibt es einige durchaus schön anzusehende Trapeznummern.

Doch erst die letzte Szene von „F 88“ löst ein, was die Ästhetik aus Feuer und Schrott verheißt: Die Akteure sind in Käfigen gefangen, die – wie so vieles in dieser Inszenierung – von der Decke hängen. Ein Junkie verwundet sich selbst, bis kein Körperteil mehr frei von Blut ist. Andere Gestalten telefonieren manisch oder rütteln an den Stäben, eine Frau im S/M-Outfit tanzt wie in einem Stripteaseschuppen, während Müllmänner vergeblich versuchen, Ordnung ins Chaos zu bringen. Die Musik wird lauter und lauter, die Käfige schaukeln in immer schnellerem Rhythmus. Aus Schrott zusammengebastelte Fahrzeuge drängen durchs Publikum; Flammenwerfer tun ihre Arbeit, und bald beginnt es zu brennen. Erst lodert es ein wenig in den Stahltonnen, die eine der Bühnen flankieren und in die Öffnungen gestanzt sind, die eine Stadtkulisse erahnen lassen. Dann fangen auch die gelöcherten Stahlplatten am Rand des bespielten Raums Feuer und werden zu brennenden Wolkenkratzern, die näherrücken und die Zuschauer einkesseln. Stichflammen treiben die Menge vor sich her, die Fuhrwerke hupen schrill, auf ihnen irre lachende Wesen, bis schließlich das Untergangsszenario irgendwann verebbt und Ruby Throat, die Begleitband von D.N.T.T., Punkrock spielen darf. Cristina Nord

Feuer und Schrott, Berliner Arena, 14.-18.8, jeweils ab 21 Uhr

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